Peter Imhof steht am Fusse der Ruchmühlebrücke und blickt sinnend auf die bewegten Wogen des smaragdgrünen Wassers, das zwischen den Steinen seinen unendlichen Weg findet. Nach einem kurzen Wortwechsel über den sonnigen Prachttag sagt der 84-Jährige mit einem gewitzten Schmunzeln: «So, an der Sense sagt man ‹Du› zueinander: Ich bin der Peter». Das Eis ist mit diesem Satz wie eine Glace an der Sonne geschmolzen und er macht sich auf den Weg zum Flussufer. Unzählige Stunden hat er hier schon verbracht und viele davon mit seiner Kamera festgehalten. Dabei wird er nicht müde, die vielfältige Flusslandschaft immer wieder neu zu entdecken und hegt eine tiefe Bewunderung für die Schönheiten der Natur. «Es ist erstaunlich, wie einzigartig die Sense immer wieder ist» sagt er und ergänzt: «Kein ‹Chemp› gleicht dem anderen».
Seit seinem 10. Lebensjahr kennt er den Fluss. Zuvor lebte Imhof im oberen Gürbetal. 1948 zog die Familie dann nach Niederscherli, wo sein Vater als Tapezierer in der Region eine Stelle antrat. Die heissen Sommertage verbrachte er oft mit seinem Bruder an der Sense. «Damals gab es noch keine Badis», schmunzelt er. Parallel entdeckte der Schuljunge seine Freude am Schreiben. Ermuntert durch seinen Lehrer, begann der sprachgewandte Schüler eine Lehre als Typograf. «Das war in der damaligen Zeit gar nicht so einfach», erinnert sich Imhof. Doch seine Hartnäckigkeit machte sich bezahlt und er fand eine Lehrstelle in einer Druckerei am Eigerplatz in Bern. Nach dem Lehrabschluss folgten zwei Jahre Militär. Mit dem Studium in Hamburg zum Werbeassistenten legte er den Grundstein für die nächsten 40 Jahre, in denen er mit viel Leidenschaft und Ehrgeiz als Werber in der grafischen Zulieferindustrie tätig war.
Das intensive Berufsleben liess Peter Imhof wenig Musse zum Schreiben. Doch wann immer möglich, zog es ihn mit seiner Kamera auf Entdeckungstour in die Natur. «Meine Frau hat mich dabei unterstützt und mir den Rücken freigehalten», sagt der Vater von drei Kindern dankbar. Sein erstes Buch «Chabisland» (2005) veröffentlichte er erst im Rentenalter. Auf das Mundartwerk folgten zwei weitere: «Gürbechempe» (2008) und «Senseflüe» (2012). Letzteres war der Auslöser für den 2015 veröffentlichten Bildband «sense». Mit dem Buch, das in einem Zeitraum von rund fünf Jahren entstand, legt der Autor den Fokus auf den Abschnitt zwischen der «Guggersbachbrücke» und dem «Heiti-Büffel». Mit wissenswerten Texten zu den verschieden Themenwelten wird die urchige Landschaft für die Leser erlebbar. Bei seinen Recherchen überliess der Autor nichts dem Zufall. «Ich habe sehr viel Zeit investiert und mich in der Biologie-Literatur informiert, mich mit den verschiedensten Fachleuten ausgetauscht. Auch sein ältester Sohn konnte ihn als Geograf mit seinem Wissen unterstützen.
Mit etwas Wehmut, wie Peter Imhof zugibt, denkt er an die unzähligen Stunden an der Sense zurück. Seine Beobachtungen haben ihn viel über das Leben gelehrt. «Das Leben, eigentlich alles auf unserer Erde, ist im Wandel, ist vergänglich. Momentaufnahmen besitzen oft Seltenheitswert», erzählt er und erinnert sich an viele Erlebnisse. «Vor ein paar Jahren habe ich einen auffälligen Felskopf fotografiert. Dieser wurde nur durch einen fragilen Sockel gestützt, welcher mit den Jahren durch das stete Auswaschen der Wassermassen immer schmaler wurde. Als ich das nächste Mal an dem Felsen vorbeikam, war dieser umgestürzt und in mehrere Teile zerborsten.» Eindrücklich war auch ein Fischschwarm, der sich flussaufwärts bewegte. «Es müssen über 100 Fische gewesen sein – das habe ich seither nie mehr gesehen.» Ein weiteres Wunder war die Entdeckung der Alpenrosen hoch oben an den Flühen. Wo in der Region gibt es wohl wundervolle Alpenrosen unter 800 Metern über Meer? Selbst Biologen waren erstaunt über das Phänomen. Um Momente wie diese festzuhalten, braucht es ein gutes Auge und Glück. «Du musst einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein», so der Naturliebhaber.
Unentdecktes gäbe es nämlich noch viel. «In den unzugänglichen Felshängen entlang der Schlucht wartet eine noch unentdeckte, faszinierende Landschaftschaft. Diese zu erkunden, wäre noch ein Traum», so der Abenteurer. Den leidenschaftlichen Fotografen zieht es immer wieder zu seinen Kraftorten, am liebsten allein, um sich ganz und gar mit allen Sinnen der Natur zu widmen. «Hier kann ich mich sammeln und neue Kraft tanken.» Diese brauche er auch, um den schmerzlichen Verlust seiner im letzten Jahr verstorbenen Frau zu verarbeiten. Seine grosse Begeisterung zur Sense lässt nach all den Jahren kaum nach. Im Gegenteil, wie Imhof sagt: «All das Schöne, die echte Romantik, liegt doch direkt vor unserer Haustür und wartet nur darauf immer neu entdeckt zu werden».
INFO
Der Bildband «sense» ist im
Buchhandel erhältlich – oder direkt
beim Weber Verlag
www.weberverlag.ch