Der junge Marokkaner Samir arbeitet im Tourismus und begegnet dort westlichen Frauen und Werten. Als er sich in eine Touristin verliebt, folgt eine Zeit der Fernbeziehung, die schlussendlich ein Abhängigkeitssystem aufzeigt. Wäre es nicht einfacher, findet seine Familie, einfach eine Marokkanerin zu heiraten? – Was wie der Plot eines romantischen Films tönt, ist eine wahre Geschichte. Die Burgisteinerin Julia Furer hat Samir El Hajjy während vier Jahren mit der Kamera begleitet und präsentiert nun «einen intimen Film über die Liebe in einer globalisierten Welt», wie es im Kinotext heisst.
Vom Klischee zur neuen Perspektive
«Binationale Beziehungen sind vielen Klischees unterworfen», sagt Julia Furer. Die Absolventin des Masters of Arts Film an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK kennt das aus eigener Erfahrung: Sie war knapp sieben Jahre lang mit einem Mann aus Marokko liiert. «Oft lautete eine der ersten Fragen an uns, ob wir verheiratet seien», erzählt sie. Auch anderen Paaren erging es so – viele Menschen hätten die Vorstellung, dass die Beziehung als Tür zu einem Visum für Europa genutzt wird, und sähen die Graustufen dahinter kaum. «Als ich eine Zeitlang in Marokko lebte, kam mir die Idee, eine andere Perspektive aufzuzeigen.» Schon da hatte sie das Medium Bewegtbild für sich entdeckt. Nach einem Grafikpraktikum kam sie über die Reportagefotografie zum Film. Insbesondere das Genre Dokumentarfilm hatte es ihr angetan: «Ich kann einen Augenblick in einem Leben zeigen, ohne ihn zu werten. Zudem ist das Filmen im Dokumentarbereich unberechenbar – wenn du plötzlich einen starken Moment erwischt, ist das unbezahlbar.» Solches löse auch bei den Zuschauern Emotionen aus. «Andere erzählen Geschichten mit einem Roman oder einem Lied, ich tue das mit der Kamera», fasst sie ihr Tun zusammen.
Beziehung hinter der Kamera
Ab 2016 reiste sie immer wieder in den Maghreb, oft begleitet von Kamerafrau Nathalie Kamber. Die Pandemie setzte dem ein jähes Ende, der letzte Dreh kam nie zustande und Samir heiratete am Ende. Vielleicht musste es so sein. «Zusammen mit meiner Editorin Marielle Pohlmann sichteten wir in Berlin das vorhandene Material und schauten, wie wir Samirs Geschichte am besten erzählen könnten», so Furer. Die über hundert Stunden wurden schliesslich auf 81 Minuten geschnitten. Damit es aber überhaupt zu den vielen gefilmten Szenen kam, war vor allem eines nötig: Beziehung aufbauen. «Die Leute müssen sich wohl fühlen, zu mir als Schweizerin, als Julia, auch Vertrauen generieren», erklärt die Filmemacherin. Auch darum reisten sie nur zu zweit an – Furer wirkte auch als Kamerafrau und kümmerte sich um den Ton.
Der Film löst etwas aus
Die Beziehung zur lokalen Bevölkerung brach nach Abschluss der Dreharbeiten nicht ab. «Wir konnten den Film in Marrakesch Samirs Familie und am einzigen Dokumentarfilmfestival in Marokko zeigen. Während mehreren Tagen reisten wir dort mit Bus und Leinwand von Dorf zu Dorf», erzählt sie. Anschliessend gab es zum Teil mehrstündige «Frage-und-Antwort»-Runden. «Es gab einmal eine Vorstellung, die nur von Männern besucht wurde – 50 Männer ab 50-jährig. Das war sehr eindrücklich.» In der marokkanischen Kultur rede man kaum in der Öffentlichkeit über persönliche Probleme, schon gar nicht über Liebe oder Herzschmerz. Der Film tue aber genau dies und löste dementsprechend viel aus im Publikum. Die Gesprächsrunden seien wunderschön gewesen, es entstanden Diskussionen über Liebe und Gefühle. Auch in der Schweiz bewegte der Film bis jetzt an allen Vorführungen, «die Leute kamen und erzählten mir von ihren binationalen Beziehungen oder Erlebnissen in Marokko». «Mir ist wichtig, dass meine Filme etwas anstossen, dass man nach der Vorführung etwa noch ein Bier trinken geht und über die Themen spricht», betont die 32-Jährige.
Aktuell wohnt Julia Furer in Basel. Im dortigen «Kulturbüro» ist sie fürs Filmequipment zuständig, daneben verantwortet sie den Ton diverser Dokumentarfilme. Ob Bild oder Ton, man spürt die Leidenschaft der Filmemacherin: «Ich bin gern nah bei den Leuten und liebe es, besondere Augenblicke im Leben einer Person einzufangen und damit eine Geschichte zu erzählen.»
INFO
«Love will come later» läuft im September in den Kinos. Er kann auch online geschaut werden:
www.vinca-cinema.ch