Es ist kurz vor 12 Uhr, die ersten Gäste sind bereits eingetroffen und lassen sich einen hausgemachten Eistee einschenken. Etiam steht im hinteren Teil des Raumes vor zwei dampfenden Pfannen. Heute riecht es köstlich nach einem Curry. Für den Besuch der Gantrisch Zeitung trägt Etiam extra ein Appenzeller Käppi und lacht: «Ich bin Appenzellerin und koche Thai.»
Seit einem knappen Jahr wirken sie und Manu zusammen an der Dorfstrasse 4 in Schwarzenburg. Im vormaligen Ladenlokal waren früher der Naturkostladen und das Café Bergbach beheimatet. Jeweils samstags kochte Etiam dort Suppe für Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen. Seit einem knappen Jahr wird hier aber nichts mehr verkauft, sondern alles verschenkt. «Wir nehmen Gemüse aus unserem Garten und Eier unserer Hühner mit», beschreiben Etiam und Manu ihre «Herzraumtage». «Herzraum», so nennen sie nun diesen Ort, denn hier sollen nicht mehr Preise und Berechnungen im Zentrum stehen, sondern Begegnungen möglich werden. «Geld ist nicht per se schlecht», stellt Etiam klar, «aber oft trennt es Menschen». Verschenke sie jedoch etwas, bedinge dies Vertrauen, dass irgendwoher auch etwas zurückkommt. «Unser Portemonnaie ist leer», gibt sie zu. «Aber unser Herz freut sich, wenn wir schenken können – und was will man mehr, als Freude im Herzen zu haben?!»
«Alle sind Freunde»
Jeden Dienstag und Freitag wird ein Mittagessen gekocht, am Sonntagnachmittag backt Manu Kuchen und kreiert Desserts. Derweil schaut Mirjam, die dritte im Bunde, auf dem Hof oberhalb Schwarzenburgs zu Etiams Tieren und pflegt den Garten, so dass Etiam und Manu im Herzraum wirken können. Sie verstehen ihre Verköstigung nicht als gastronomisches Angebot. Wer sich an einen der Tische setzt, ist weder Restaurantgast noch Kundin, sondern viel mehr. «Alle Menschen sind meine Freunde», sagt Etiam, «und ich verschenke das Essen an meine Freunde.»
Freundinnen, Nachbarn und Bekannte bringen Naturalien mit, viele geben einen Beitrag ins Kässeli. So werden regelmässige Mahlzeiten «für alle, die wollen» möglich. Nur für die Miete reicht es nicht – Manu und Etiam müssen aus der eigenen Tasche draufzahlen. «Wir sind auf der Suche nach einem neuen Raum – zentral und mit möglichst tiefem Mietzins», so die beiden Gastgeberinnen. «Vielleicht würde uns jemand sogar einen Raum kostenlos zur Verfügung stellen?»
«Es sind alle willkommen!», betonen sowohl Etiam wie auch Manu immer wieder. Einer, der das gern bestätigt, ist Bruno Emmisberger. Sein Büro liegt um die Ecke und er ist Stammgast seit Tag eins. Emmisberger schwärmt: «Etiam und Manu sind herzensgute Menschen, wirklich!» Am Anfang kannte er niemanden hier, doch fühle es sich heute an «wie in einer Familie». «Hier kann ich runterfahren», beschreibt er die Mittagszeit im Herzraum. Und wenn er etwas nicht so möge, sei dies kein Problem: «Sie erfüllen einem fast jeden Wunsch, und das Essen ist immer genial.»
Bedingungslos willkommen
Wider Erwarten sind die Besucherinnen und Besucher nicht unbedingt die vormaligen Kundinnen des Naturkostladens. Im Gegenteil, viele hatten Mühe mit der Umstellung von «Verkaufen» zu «Verschenken». Dafür ist die Herzraumfamilie umso gemischter: Treuhänder aus umliegenden Büros gehören genauso dazu wie Nachbarinnen, alleinstehende 80-Jährige, Menschen mit psychischen Krankheiten oder Bernavillebewohner. «Es geht uns wirklich nicht ums Geld», wiederholt Etiam, «unser Angebot ist vollkommen bedingungslos!» Man dürfe auch einfach einen Nachmittag lang da sein und lesen oder sich kreativ betätigen. Manu fügt an: «Es gibt bei uns keine Bewertungen untereinander. Alle sind willkommen und man zieht hier nicht übereinander her.»
Wenn man Sicherheit brauche, dann funktioniere das mit dem Vertrauen nicht, erklärt Etiam. Aber wer Sicherheiten loslasse, könne auch viel besser empfangen: «Eine gebende Hand ist nie leer», steht denn auch als Leitsatz über der Küche. Wer nicht für Geld arbeite, könne sich viel freier entfalten: «Stell dir vor, alle würden ihre Talente verschenken», fordert Etiam die Anwesenden heraus, «wie könnte die Welt dann aussehen?»
Übrigens: Auch privat suchen Mirjam, Etiam und Manu nach einem Haus mit viel Umschwung oder nach einem Hof. Vielleicht hält ihnen die Zukunft ja solch ein Geschenk bereit?