Aufgepasst: Die «bösen» Schwarzenburger kommen

Aufgepasst: Die «bösen» Schwarzenburger kommen

Wenn es am kommenden 30. August zu früher Stunde heisst «Manne, a d’Arbeit», ist der Startschuss zum 47. Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest erfolgt. Wie immer werden die «Bösesten» der verschiedenen Regionalverbände im Anschwingen einander zugeteilt. Staudenmann gegen Giger, Walther gegen Reichmuth, Aeschbacher gegen Orlik – so oder ähnlich könnte es für die drei Favoriten aus dem Bernbiet aussehen. Die Ergebnisse im ersten Gang sind an diesem sich über zwei Tage erstreckenden Ereignis zwar noch nicht entscheidend, aber zumindest wegweisend.

53’000 in der Arena auf dem Flugplatz Mollis und Millionen an den Bildschirmen werden im Morgengrauen die Kämpfe verfolgen. In den Wohnungen zwischen Genf, Basel, Chiasso und Rorschach wird wie zu Zeiten, als Muhammad Ali boxte, früh Tagwache sein. Es ist davon auszugehen, dass mindestens fünf Aktive des Schwingklubs Schwarzenburg in Mollis in die Zwilchhosen steigen. Präsident René Wittwer hofft sechs, wird aber umgehend vom Leiter des Trainings lautstark korrigiert: «Sieben!» Um im August beim Höhepunkt dieser Saison dabei zu sein, wird im engen Schwingkeller im Schulhaus in Schwarzenburg geschwitzt, frei nach Friedrich Schillers «Glocke»: «Von der Stirne heiss, rinnen muss der Schweiss.» Die Luft ist stickig, verbraucht, schweissgetränkt, beinahe neblig, das Atmen unangenehm. Unsere Fotografin lässt sich nichts anmerken, sie hält stundenlang durch und knipst ohne Unterbruch, doch ein Bild mit Fabian Staudenmann auf dem Rücken gelingt auch ihr trotz aller Aufmerksamkeit nicht, denn das ist eine Rarität, so selten wie eine Hitzewelle im kanadischen Yukon, wo hin und wieder Temperaturen bis zu minus 65 Grad gemessen werden. 

Zuversichtlich und erfolgshungrig

Bei unserem Besuch sind sämtliche Gesprächspartner freundlich, offen, sprechen über ihre Ambitionen, zwischendurch gibt es schallendes Lachen, keine Spur von Medien-Müdigkeit ist auszumachen, im Gegenteil. Keine Xhaka-, Jashari- oder Kyrgios-Allüren. Ein Schelm, wer denkt, der eine oder andere sei froh, eine kurze Verschnaufpause einlegen zu können und nur deshalb gesprächig.

Fabian Staudenmann, der Leader nicht nur in Schwarzenburg, sondern in der ganzen Schweiz, der Gewinner der Jahreswertung des Eidgenössischen Schwingerverbands in den letzten beiden Jahren, seit dem 27. August 2023 ungeschlagen, meint, «dass die Favoritenrolle keine Last, sondern im Gegenteil zusätzliche Motivation bedeutet». Der Überschwinger ist sich bewusst, dass die Erwartungshaltung der Schwingerfreunde im ganzen Bernbiet riesig ist, doch er findet dies nicht unangenehm, sondern «cool». Das Mathematikstudium geniesst im Moment höchstens dritte Priorität, er widmet sich mindestens bis zum Eidgenössischen voll und ganz dem Schwingen, weil er weiss, dass die Konkurrenz nicht schläft und er «l’homme à battre» ist. Zusammen mit Adrian Walther, Lario Kramer, Patrick Gobeli und Curdin Orlik reist er demnächst nach Gran Canaria. Dort ist nicht «dolce far niente», süsses Nichtstun, angesagt, sondern hartes Training. Das absolviert Staudenmann ebenso an der Sportschule Magglingen, wo er nicht nur seine WKs absolviert. Wochenlang trainiert er hoch über dem Bielersee mit rund 15-30 anderen Spitzenschwingern unter der Anleitung von Matthias Glarner, dem König von Estavayer 2016 und OK-Präsidenten des Eidgenössischen 2028 in Thun. «Ich werde peinlich genau darauf achten, dass ich Ende August mit vollen Batterien nach Mollis fahren kann, entsprechend schwierig war für mich auch die Saisonplanung», sagt der seit Jahren stärkste Schweizer Schwinger. Deshalb ist seinem Jahresprogramm zu entnehmen, dass er vor dem Eidgenössischen nach der Teilnahme am Nordwestschweizerischen in Lenzburg eine 20-tägige Wettkampfpause einlegen wird.

Der Beginn mit dem «Chüngu»

Michael Ledermann, gelernter Landwirt,  will nach absolvierter Ausbildung als Agro-Techniker im Hinblick auf das Eidgenössische beruflich etwas kürzertreten. «Die Saison ist schwierig zu planen, weil sie erst spät mit den Kranzfesten beginnt und Mollis den Höhepunkt bildet. Der Mann, der dank seinem Onkel Thomas Stöckli, ein Kranzschwinger, und einem Nachbarn zum Schwingen kam, erinnert sich: «Mein Nachbar kam von einem Schwingen mit einem gewonnenen ‹Chüngu› nach Hause. Als grosser Tierfreund wollte ich auch so einen schnuseligen ‹Chüngu› gewinnen, was mir schon bald einmal an einem Fest gelang. Selbstverständlich landete dieser nicht in Mutters Pfanne. «Nein, der wurde von mir während einigen Jahren gehegt und gepflegt und verwöhnt, das war ein Super-‹Chüngu›.» Drei Jahre lang schwang Ledermann während seiner Ausbildung in der Westschweiz. Nach seiner Rückkehr zum SK Schwarzenburg folgten die Erfolge Schlag auf Schlag, mittlerweile ist er nicht «nur» Eidgenosse, sondern hat auch bereits das Mittelländische und das Seeländische Schwingfest gewonnen. «Ich schätze am Schwingen die Tradition, die Fairness, den Kampfsport», so Ledermann, der wie Staudenmann oft in Magglingen trainieren darf und dort die Trainings unter Glarners Regie als «äusserst wertvoll» bezeichnet. «Spitzenschwinger aus der ganzen Schweiz stehen mir dort im Training gegenüber, es ist zweifellos eine Erleichterung, wenn man während Wochen nichts anderes tun muss und sich auf das Schwingen konzentrieren kann.»

Aus dem Ringer wurde ein Schwinger

«Ist er nun 202 Zentimeter gross oder nicht», wollen wir von Severin Schwander wissen. «Ich weiss, da hat wieder jemand ausgeplaudert, dass ich beim Messen zwei Koteletts unter die Füsse gelegt habe», lacht Severin und entgegnet, «dass ich mindestens zwei Meter gross bin.» Severin Schwander begann als kleiner Knabe mit Ringen, trainierte zweimal wöchentlich. Doch weil drei Generationen vor ihm, Urgrossvater, Grossvater Fritz als vierfacher Eidgenosse und Vater als Schwinger aktiv waren, zog auch er die Zwilchhosen über, als er das Mindestalter erreicht hatte. Als Bub errang er an Buebe-Schwinget sogleich Zweige und begann nach absolvierter Lehre als Koch im Welschland so richtig mit Schwingen. «Der Kampf Mann gegen Mann, das faszinierte mich bereits als Kind, heute sind es die Kollegialität unter uns Schwingern und die ausgezeichnete Kameradschaft, die ich nicht missen möchte.» In der familieneigenen Metzgerei ist Severin Schwander heute sein eigener Herr und Meister, arbeitet zu 100 Prozent, schätzt jedoch, als Chef die Arbeitszeit selbst planen zu können. Wie Staudenmann und Ledermann darf Schwander als Eidgenosse auch in Magglingen trainieren, geniesst diese Zeit, «weil dann der Fokus einzig und allein auf dem Schwingen liegt». Auf das Eidgenössische freut sich Severin Schwander ganz besonders. «Es ist wahnsinnig schön, das Fest mitprägen zu dürfen. Auf dieses Ziel hin arbeiten wir alle hart und hoffen, den Berner Fans viel Freude bereiten zu dürfen.»

«Vom ersten Moment an fasziniert»

Als Jüngling versuchte sich Lukas Renfer auch im Eishockey und im Unihockey. Doch schon nach dem ersten Versuch im Sägemehl war ihm klar, welchen Sport er ausüben will. «Der stets zu 100 Prozent faire Kampf Mann gegen Mann hat es mir schon bei den ersten Versuchen angetan.» Eine vor fünf Jahren erlittene Schulterverletzung und ein Eingriff am Knie im Jahr 2022 verhinderten zwischenzeitlich noch grössere Erfolge, doch jetzt ist Lukas Renfer wieder hundertprozentig fit, was er auch im Training bei den Duellen mit den anderen Schwarzenburger Schwingern an diesem Abend unter Beweis stellt. Sein Arbeitspensum hat Renfer auf 80 Prozent reduziert, um für das Eidgenössische in Glarus noch härter und intensiver trainieren zu können. «Explosivität, Kraft, Technik und Taktik sind im Schwingen entscheidend», sagt er. Und im Hinblick auf den Saisonhöhepunkt will er, sofern er sich gut fühlt, «möglichst viele Feste bestreiten, aber nichts erzwingen, wenn ich fühle, dass ich eine Pause benötige».

Mitgegangen, mitgefangen

Weil sein Bruder mit Schwingern zusammenarbeitete, kam Lorenz Berger zum Schwingen. «Das wäre doch etwas für dich, meinte ein Kollege meines Bruders. Ich ging mit zum Schnuppern und so wurde ich, frei nach dem Motto ‹Mitgegangen, mitgefangen› vom Schwing-Virus infiziert», sagt Berger, der in seiner Jugend auch Wasserspringer war. «Doch mit zunehmendem Alter war meine Postur für das Wasserspringen nicht mehr ideal», sagt er mit einem Lachen. Der Draufgänger, der seine Kämpfe stets aggressiv und offensiv angeht und den Sieg im Angriff sucht, gewinnt meist mit der Maximalnote 10, riskiert aber mit seiner Kampfweise auch, dass er hin und wieder ausgekontert wird. «Sieg oder Sarg» nennt Fabian Staudenmann diesen Kampfstil. «Ich werde in dieser Saison versuchen, etwas vorsichtiger zu sein, hin und wieder wäre ein Gestellter Gang doch besser als eine Niederlage.» Um sich am Eidgenössischen in Bestform zu befinden, hat Renfer wie Berger sein Arbeitspensum auf 80 Prozent reduziert. Sein letztes Fest vor dem Saisonhöhepunkt will er am 3. August beim Freiburger Kantonalen absolvieren und anschliessend eine gut dreiwöchige Pause einlegen.

«Mehr Würde als Bürde»

Seit einem Jahr präsidiert der 39-jährige René Wittwer als Nachfolger von Ueli Krebs den Schwingklub Schwarzenburg, den erfolgreichsten und grössten Sportverein in der Gemeinde an der Grenze der Kantone Bern und Freiburg. Er füllt sein Amt mit Fachkenntnis, grossem Engagement und viel Leidenschaft für den Schwingsport aus. «Es gibt viel zu tun, doch trotzdem bringt mein Amt mehr Würde als Bürde mit sich. Ich bin stolz, Präsident eines so erfolgreichen Klubs sein zu dürfen.» Als sich sein Vorgänger Ueli Krebs vor Jahresfrist bei René Wittwer erkundigte, ob er sich vorstellen könne, sein Nachfolger zu werden, musste sich der ehemalige fünffache Kranzschwinger die Sache zuerst einmal überlegen, weil er um den immensen Aufwand wusste, den dieses Amt mit sich bringt. «Ich suchte das Gespräch mit meiner Frau, doch als sie kurz und bündig meinte ‹du machsch ja sowieso, was du wosch›, sagte ich Ueli Krebs zu.»

Und jetzt amtiert René Wittwer seit einem Jahr als Präsident und freut sich an den Leistungen seiner «Bösen», wie die stärksten Schwinger im Fachjargon genannt werden. Als Technischer Leiter der Jungschwinger während zehn Jahren hat der zweifache Familienvater, der von sich sagt «Schwingen ist mein Leben», auch die ersten Schwünge von Fabian Staudenmann und Michael Ledermann aus nächster Nähe miterlebt. «Als Jungschwinger waren sie nicht überragend, sie verloren auch hin und wieder und Fabian war einmal sogar nahe dran, dem Schwingsport den Rücken zu kehren. Doch plötzlich machte es ‹Klick›, wurde er ehrgeizig und tat alles für den Erfolg, ähnlich war es bei Michael. 

Was kommt in Mollis?

Mit drei eidgenössischen Kränzen 2022 in Pratteln war der SK Schwarzenburg der erfolgreichste Klub im ganzen Land.  Was erwartet der Präsident von seinen «Bösen» im August in Mollis? «Zuerst einmal hoffe ich, dass sich fünf oder sechs unserer Schwinger für die Teilnahme qualifizieren. Wenn es dann in Mollis vier oder fünf Kränze werden, wäre dies sicher ein Glanzresultat», so der Schwarzenburger, der sein Amt mit Leib und Seele ausübt und am Abend während unseres Besuchs das Training im Sägemehl-Keller so aufmerksam verfolgt, das Aufwärmen ebenso beobachtet wie jeden Zug der Schwinger, als ob er selbst die Selektion fürs Eidgenössische vornehmen müsste. «Doch in Mollis bin ich nicht nur Schwarzenburger, sondern Berner. Ich freue mich über jeden Erfolg eines Berners.» Von einem bereits feststehenden Ablauf einer Siegesfeier für den kommenden Schwingerkönig will Wittwer allerdings nichts wissen, auch wenn in der Person von Fabian Staudenmann der Topfavorit auf die Königskrone aus seinem Team stammt. «In den Hinterköpfen des einen oder anderen Politikers gibt es möglicherweise solche Gedanken, doch wir bleiben demütig. Die Konkurrenz, die auf unsere «Bösen» wartet, ist stark und hungrig. Umso schöner, wenn es dann tatsächlich ein Fest gibt.» 

Wir wetten, dass sich Gemeindepräsident Urs Rohrbach zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat schon einige Gedanken über allfällige Festivitäten gemacht hat…

 

Das sagt Staudenmann über seine Kollegen
Michael Ledermann: «Ein Kämpfer mit einem grossem Willen, der sich nie geschlagen gibt. Im Fussball würde man ihn einen Wadenbeisser nennen.»
Severin Schwander: «Zuerst einmal ist er eine treue Seele. Er versteht das Schwingerhandwerk und ist alles andere als ein Schwinger aus Glas.»
Lukas Renfer: «Kommt es drauf an, ist er zu 100 Prozent bei der Sache und unternimmt
alles für den Sieg. Setzt er zu einem Brienzer an, wird es gefährlich.»
Lorenz Berger: «Ein richtiger Power-Schwinger frei nach dem Motto ‹Sieg oder Sarg›. Seine Kränze holt er viermal mit Maximalnote 10 und zweimal mit 8,50.» 

Die «bösesten» Schwarzenburger
Fabian Staudenmann: Geboren am 15. April
2000, 17 Festsiege (u.a. Jubiläumsschwinget 125 Jahre ESV), 55 Kränze, zweifacher Eidgenosse, 191 cm / 115 kg
Michael Ledermann: Geboren am 10. Oktober
2000, 2 Festsiege, 33 Kränze, Eidgenosse,
193 cm / 115 kg
Severin Schwander: Geboren am 13. Dezember 1995, 24 Kränze, Eidgenosse, 202 cm / 130 kg
Lukas Renfer: Geboren am 21. August 1996, 27 Kränze, 183 cm / 106 kg
Lorenz Berger: Geboren am 16. Januar 1997, 20 Kränze, 182 cm / 102 kg 

Schwingklub Schwarzenburg
Gegründet: 1946
Präsident: René Wittwer
750 Mitglieder (40 Aktive, 40 Jungschwinger, 150 Veteranen und Ehrenmitglieder, 520 Passive)
Erfolgreichste Schwinger: Fritz Schwander und Walter Hürst, beide vierfache Eidgenossen, zu einer Zeit, als es noch Speck und
Bohnen zum Zmittag gab
Drei aktive Eidgenossen: Fabian Staudenmann (2), Michel Ledermann und Severin Schwander (je 1)

www.schwingklub-schwarzenburg.ch

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