Auf Initiative des Regionalmuseums Schwarzwasser und in Zusammenarbeit mit dem Naturpark Gantrisch fand 2015 eine Zusammenkunft von verschiedenen Vertretern aus dem kulturellen Bereich statt, um sich mit dem immateriellen Kulturerbe der Region Gantrisch auseinanderzusetzen. Das sogenannte «immaterielle Kulturerbe» umfasst kulturelle Ausdrucksformen, die nicht profitorientiert sind und von Generation zu Generation überliefert werden. Bei der Recherche zeigte sich: Die Region hat enorm viel an Kulturgut zu bieten. Obwohl die Gegend als arm galt, pflegten die Menschen stets eine reiche Volkskultur. Resultierend aus den Recherchen entstanden acht Projektideen. Eine davon ist die Initiative, altes Liedgut neu aufzubereiten. Der Naturpark Gantrisch ist Förderer und Träger des Projektes und setzt die Rahmenbedingen für die Umsetzung.
Wertvolles Vermächtnis
«Es ist erstaunlich, wie reich unsere Region an Singtraditionen und bodenständigen Bräuchen ist», sagt Johannes Josi beeindruckt. Der ehemalige Lehrer aus Riedstätt sitzt über Büchern, Texten und Notenblättern im Wohnzimmer von Daniel Jaun in Schwarzenburg. Hier treffen sie sich, um eine geeignete Version für die ausgewählten Lieder zu erarbeiten. Eine erste Grundlage für die Aufbereitung bietet das Gesangbüchlein von Albert Binggeli. Der hiesige Chorsänger hat im Zeitraum von 1950 bis 1965 die ihm bekannten Lieder gesammelt und niedergeschrieben. «Das Problem ist, dass viele Lieder, so wie sie damals aufgeschrieben wurden, heute nicht gesungen werden können», erklärt Johannes Josi. Daniel Jaun stimmt dem zu und ergänzt überzeugt: «Nur durch eine zeitgemässe Aufbereitung können die Lieder der Bevölkerung zugänglich gemacht und an die nächste Generation weitergegeben werden.» Als passionierter Berufsmusiker und Konzertverantwortlicher im Schloss Schwarzenburg sind ihm viele der alten Volkslieder vertraut.
Ein gutes Team
Daniel Jaun und Johannes Josi ergänzen sich mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung. Während Daniel Jaun sich vorwiegend den musikalischen Inhalten widmet und die Notensätze erfasst, kümmert sichJohannes Josi um die Überarbeitung der Texte. Bei der Aufbereitung ist es den beiden Musikbegeisterten wichtig, die Identität des originalen Liedes zu wahren. Dabei standen sie unter anderem vor der Herausforderung, die hiesige Mundart so aufzuschreiben, dass sie lesbar ist. Bei dieser kniffligen Aufgabe suchten sie den Austausch mit dem aus dem Schweizer Radio
bekannten Mundartforscher Christian Schmutz. Dies habe sie einen wichtigen Schritt weitergebracht.
Neue Interpretationen alter Volkslieder
Kein Lied wurde so oft und in den unterschiedlichsten Varianten und Stilrichtungen interpretiert wie das «Vreneli abem Guggisberg». Was die einen lieben, hassen die anderen. Ist dies ein «No-Go» oder können unsere Lieder nur so in die Moderne gerettet werden? Daniel Jaun begrüsst diese Entwicklung und meint: «Ich würde dies nicht als Gegensatz sehen, sondern als Bereicherung. Je mehr Leute die Lieder in verschiedenen Stilrichtungen interpretieren, desto vielfältiger wird unsere Kultur und desto grösser ist die Wirkung.» Das Beispiel vom «Vreneli abem Guggisberg» zeige eindrücklich: Wenn eine Melodie gut ist, wird sie auch gespielt.
Noch nicht am Ziel angekommen
In der ersten Etappe werden rund 24 Lieder aus dem Schwarzenburgerland neu erfasst. Danach widmet sich die Arbeitsgruppe in einem zweiten Schritt den Volksliedern aus den restlichen Gebieten innerhalb des Naturparks Gantrisch. Daniel Jaun und Johannes Josi haben eine Kontaktliste zusammengetragen mit Menschen, die noch mit dem alten Liedgut vertraut sind, und erhoffen sich so, noch weitere Musikperlen aus der Region aufzugreifen. Das Ziel ist, bis Ende 2022 der Bevölkerung eine erste Sammlung auf einer Online-Datenbank zur Verfügung zu stellen. Parallel sind weitere Massnahmen geplant, wie etwa der Ausbau von Bänkli an ausgewählten Standorten, die Liedern gewidmet sind, oder auch der Besuch an Schulen, um junge Menschen zu erreichen und eine lebendige Singkultur zu fördern.