Wer wird zum Nussknacker?

Wer wird zum Nussknacker?

Am 22. September wählen die Belperinnen und Belper ihren Gemeinderat für die nächsten vier Jahre. Gemeindepräsident werden möchten zwei Männer. Der bisherige Vize Stefan Neuenschwander (SP) und der Mitte-Mann Markus Müller. Auf die Gewählten warten gewichtige Themen.

Acht Jahre lang leitete Benjamin Marti (SVP) zusammen mit dem Gemeinderat die Geschicke von Belp. Am 22. September, wenn die Gesamterneuerungswahlen anstehen, tritt er nicht wieder an. Kurz nachdem er dies im Spätsommer 2023 bekannt gab, begab sich sein Vize in die Pole-Position und kündigte seine Kandidatur an. Seit acht Jahren schon steht Stefan Neuenschwander (SP) im Dienst der Gemeinde; acht Jahre als Vizepräsident und verantwortlich fürs Departement Liegenschaften. Er ist also kein Unbekannter im Dorf, zumal er auch in diversen Vereinen aktiv ist. Und: Bereits sein Vater und sein Grossvater übten das Amt des Gemeindepräsidenten aus. Martis Partei hingegen kann niemanden aufstellen. Dafür überraschte Ende Mai die Mitte mit der Nachricht, Markus Müller ins Rennen zu schicken. Dabei blieb es. Hier der 39-jährige Ur-Belper mit viel Erfahrung in der Kommunalpolitik, da der 58-jährige, im Dorf eher weniger bekannte, vor 20 Jahren Zugezogene mit viel Enthusiasmus für seine neue potenzielle Aufgabe.

Der Sänger in der Diplomatie: Markus Müller

Seine Eignung, Verantwortung zu tragen und Herausforderungen konstruktiv anzugehen, stellte Müller schon oft unter Beweis. Wenn auch manchmal mit überraschenden Wendungen. In Bümpliz wächst er als Sohn eines «uniformierten Beamten» auf – sein Vater arbeitet bei der Post  – und interessiert sich schon früh für Musik. Er solle «etwas Rechtes» machen, findet der Vater. Erst im Austauschjahr in den USA kann sich der damals 18-Jährige richtig ausleben und der Musik, genauer dem Gesang, frönen. Zurückgekehrt bricht er das Gymnasium ab. Durch eine glückliche Fügung erhält er eine Stelle bei der US-Botschaft, wo er neun Jahre bleibt und in dieser Zeit bis zum Leiter der Visa-Abteilung aufsteigt. Er durchläuft eine Spezialausbildung beim FBI und CIA, arbeitet in Washington, Warschau, Frankfurt oder Prag. Sogar in die Organisation von Treffen der Schweizer Regierung mit US-Aussenministerin Margaret Albright oder mit Palästinenserführer Yassir Arafat ist er involviert und verhandelt mit den Schweizer Verantwortlichen über biometrische Pässe – alles noch vor seinem 30. Geburtstag. «Ich war auf der weltpolitischen Bühne und träumte davon, im Nationalrat mitgestalten zu können», schaut er heute zurück.

Schon früh politisiert: Stefan Neuenschwander

Stefan Neuenschwander hingegen wächst, wie bereits erwähnt, in Belp auf. Seine Mutter stammt aus den Philippinen. Als Markus Müller als Kleinkind seine ersten Schritte in Bümpliz wagt, ist Neuenschwanders Grossvater, Hans-Ulrich, ein erstes Mal im Belper Gemeinderat – und während Müllers US-Aufenthalt 1984 als Gemeindepräsident bei der Grundsteinlegung des neuen Dorfzentrums dabei. Ein Jahr später wird Stefan Neuenschwander geboren. Sein Vater, Rudolf, amtet ab 2001 im Gemeinderat und steht der Gemeinde von 2005 bis 2016 als Präsident vor. Am Familientisch gehören Diskussionen über Politik zum Alltag. Der ältere der beiden Söhnen erzählt: «Es war an meiner ersten Gemeindeversammlung, als ich hautnah miterlebte, wie die verschiedenen Lager argumentieren, wie es Anträge gibt und wie man dann versucht, einen gemeinsamen Weg zu finden.» Das habe ihn gepackt. Als erst 22-Jähriger bekleidet er als Sekretär und Kassier gleich ein Doppelamt für die SP Belp, zwei Jahre später wirkt er bereits in der Geschäftsprüfungskommission mit. Nach der obligatorischen Schulzeit absolviert er eine KV-Lehre in einem Notariat und bildet sich später im Steuer- und Rechnungswesen sowie in der Personalentwicklung weiter.

Müller: «Was will ich noch im Leben?»

«Warum können Menschen nicht in Frieden zusammenleben?» Eine Frage, die den Endzwanziger Müller umtreibt. Durch ein EU-Programm verbringt er mehrere Wochen mit 30 anderen U30-ern aus ganz Europa in Strassburg. «Es war spannend zu realisieren: Es gibt verschiedene Sichtweisen, und alle haben ihre Berechtigung.» Die unterschiedlich tickenden Menschen aus den verschiedenen Kulturen tun es ihm an – besonders eine Ärztin aus Polen. 14 Monate später heiraten sie. Müller steigt in die Informatikbranche ein, arbeitet bei einem Unternehmen in Gümligen, bei der Swisscom und der Bedag. 2007 kandidiert er erstmals als Nationalrat – zwar eher als «Lückenfüller», doch mit der Überzeugung, man müsse «auch mal etwas machen», nicht nur zuschauen. Die damalige CVP und heutige Mitte bzw. ihre christlichen Werte entsprechen ihm am meisten. Er engagiert sich fortan in der Kantonalpartei und später auch in der Belper Ortspartei. 2019, die beiden Töchter und der Sohn sind da schon erwachsen bzw. in der Oberstufe, will er, der in der Zwischenzeit immer als Sänger und in kulturellen Projekten aktiv war, voll auf die Karte Kultur setzen. Ein Monat später kommt der Lockdown – und Müller ist einer der ersten in der Schweiz, der so schwer an Covid-19 erkrankt, dass er hospitalisiert werden muss. «Ich hatte Angst um mein Leben und Zukunftsängste um meine Familie», erzählt er. Wieder genesen, überlegt er sich: «Was will ich noch im Leben?» Er entscheidet seitdem noch bewusster, wofür er sich einsetzt. Vor fünf Jahren übernimmt er die Geschäftsleitung eines Orchesters für Filmmusik, wo er für 160 Musikerinnen und Musiker Verantwortung trägt. Daneben steht er einer Stiftung vor und produziert Musik- und Theaterproduktionen – auch die Thuner Seespiele begründete er mit. Als Belper verfolgt er die Lokalpolitik aufmerksam und erlebt so auch das Debakel der beiden Abstimmungen zur Ortsplanungsrevision und dem Neubau der Schulanlage Mühlematt. Er entscheidet sich, für den Gemeinderat zu kandidieren. «Dass es für den Gemeindepräsidenten keinen Gegenkandidaten gibt, fand ich jedoch schade. Die Belper sollten eine Wahl haben.» Er hilft mit, parteiintern nach einer geeigneten Person zu suchen und merkt: «Eigentlich ist das gesuchte Profil genau das, was mich anspricht.»

Neuenschwander: «Ich könnte noch mehr bewirken.»

Es herrsche keine Monarchie in Belp, heisst es vereinzelt im Dorf, als Stefan Neuenschwander Nachfolger seines Vaters werden will und nach mehreren Jahren als Kommissionsmitglied im Herbst 2016 gleich für das Amt des Gemeindepräsidenten kandidiert. Doch dank seines grossen Wahlerfolgs kommt es sogar zum zweiten Wahlgang, in dem der nun nicht mehr antretende Benjamin Marti reüssiert. Der damals 31-jährige Neuenschwander startet direkt als sein Vize in seine Karriere als Gemeinderat. «Ich schätze mein Aufwachsen in einer Familie mit zwei Gemeindepräsidenten, es hat mein Interesse für Politik stark geprägt, aber ich habe mir meine Erfahrung und das Wissen alles selbst erarbeitet», betont er. Er sei nicht «im Schlafwagen» in den Gemeinderat gelangt. Wer ihn wähle, tue dies nicht seines Nachnamens wegen, sondern weil sie von ihm und seiner Arbeit überzeugt seien. Rückblickend auf die vergangenen fast acht Jahre in der Belper Exekutive sagt er: «Im Austausch mit vielen verschiedenen Menschen erfahre ich aus erster Hand, was sie beschäftigt. Dies schätze ich sehr und es hilft mir, im Team des Gemeinderats gute Entscheide zum Wohl des Dorfs treffen zu können.» Mit über sieben Jahren Erfahrung als Gemeinderat und Vize-Gemeindepräsident verfüge er über eine gute Grundlage für das angestrebte Amt. «Der Gemeindepräsident kann den Rat und die Verwaltung stärker prägen als die übrigen Ratsmitglieder, somit könnte ich auch vor Ort bei den Bürgerinnen und Bürger noch mehr bewirken.» Doch letztendlich komme es auf ein gutes Team an.

Müller: «Es gilt, anzupacken»

Beide Kandidaten haben schon in jungen Jahren Verantwortung übernommen und sich in Positionen bewiesen, in denen sie eher überraschend gelandet waren. Gibt ihnen dies das Rüstzeug, das es zur Bewältigung der Belper Herausforderungen braucht? Was würden sie in ihrer ersten Legislatur als Gemeindepräsident bewirken wollen?  «Beim Mühlematt-Schulhaus haben wir ein Desaster, das es anzupacken gilt», konstatiert Markus Müller. «Es ist ein wichtiges Generationenprojekt.» Als Kulturmanager sei er schon mehrmals am Anfang von Millionenprojekten gestanden, für die er die Finanzierung sichern musste. «Manchmal muss man neue Wege finden», sagt er dazu. Um eine Steuererhöhung werde man in Belp wohl nicht herumkommen, gleichzeitig müsse man gut schauen, wo eingespart werden könne, und das Projekt wo nötig anpassen. «Jetzt braucht es jemanden, der über den Tellerrand hinausschaut und mithilft, eine kreative Lösung zu finden.» Wichtig sei, auch bei weiteren anstehenden Investitionen sowie der Ortsplanung, die Kommunikation einfach und verständlich zu halten. «Da sehe ich Verbesserungspotenzial.» Man müsse die Leute möglichst früh schon in den Prozess einbeziehen. Dasselbe gelte für die Verwaltung: «Die hohe Fluktuationsrate besorgt mich. Ich würde grossen Wert darauf legen, den Mitarbeitenden meine Wertschätzung auszudrücken.» Er sei jemand, der grossen Einsatz bewundere und alles dafür tue, dass das Arbeitsumfeld harmonisch sei. «Ich liebe einfach Menschen.» Reibereien gehörten dazu, «da muss ein gemeinsamer Weg gefunden werden, ohne dass man mit allen befreundet sein muss». Schwierige Gespräche habe er als Vorgesetzter schon oft führen müssen. Was er hingegen nicht möge: «Wenn es ausartet und laut wird.» Sein Ansatz sei es dann, die innere Ruhe zu finden und zu einer Lösung zu kommen. Und was, wenn einzelne Bürgerinnen oder Bürger gegen alles Ausgearbeitete sind? «Zuerst einmal schätze ich es, wenn man sich einbringt.» Auch wenn es viel Zeit in Anspruch nehme, würde er sich gern regelmässig mit diesen Menschen treffen.

Neuenschwander: «Manchmal ist es Knochenbüez»

Neuenschwander schlägt in dieselbe Kerbe. Er suche lieber Harmonie als Streit. Um gemeinsam zu politisieren, brauche es eine gesunde Kultur als Grundlage. «Als Präsident würde ich eine Umgangskultur pflegen, bei der man andere Meinungen nicht als störend, sondern als Mehrwert für die Diskussion empfindet.» Denn der Gemeinderat müsse die besten Lösungen für den Menschen und nicht für sich selbst finden. Mit so vielen Bürgern Gespräche zu führen, besonders mit Andersdenkenden, sei «Knochenbüez». «Ich mache das aber schon jetzt so und würde dies beibehalten.» Mit denen, die sich gegen Projekte aussprechen, müsse man das Gespräch suchen. «Diese Leute haben sich ja etwas überlegt und ich sehe andere Meinungen immer als Mehrwert.» Alle hätten ein Recht, sich einzubringen. «Entweder kann der Gemeinderat mit guten Argumenten überzeugen, oder er muss weiter feinjustieren», fasst er zusammen.

Als langjähriger Ressortverantwortlicher Infrastruktur kenne er den Nachholbedarf bei den gemeindeeigenen Liegenschaften bestens. Besonders bei der Schulanlage Mühlematt: «Hier möchte ich den Weg ebnen, damit der Gemeinderat raschmöglichst das weitere Vorgehen definieren kann.» Es gälte, abzuwägen, welche Weichen wo zu stellen sind. Mit der aktuellen Finanzlage «scheint es mir, dass solch grosse Projekte nur in mehreren Etappen gestemmt werden können». Man dürfe das Fuder nicht überladen. Mit einer Spezialkommission arbeite er schon seit Monaten an einer Lösung für das Schulhaus. «Wir erarbeiten Szenarien, die wir nächstes Jahr im Rahmen einer öffentlichen Mitwirkung der Bevölkerung präsentieren werden.» Diese sei vor der letzten Abstimmung zu wenig einbezogen worden, «dann konnten sie sich nur noch an der Urne wehren». Nun solle die Mitwirkung sorgfältiger vorbereitet werden. Neinsager gäbe es immer. Die meisten jedoch möchten, dass es vorwärts gehe, das habe er in unzähligen Gesprächen gemerkt. Diese Personen gelte es mit guten Argumenten von einer Lösung zu überzeugen. Besonders das Thema der Finanzen müsse angeschaut werden: «Dann sind die Fronten hoffentlich nicht mehr so verhärtet.» Sowohl Schulen wie auch die Ortsplanung seien emotionale Themen. «Dazu kommt, dass seit den Diskussionen um Corona die Leute dünnhäutiger geworden sind. Der Umgangston ist rauher, Politik zu machen, ist schwieriger geworden.» Als Gemeindepräsident würde er sich deshalb für eine bessere Umgangskultur im Dorf einsetzen.

Parlament oder Gemeindeversammlung?

Nebst dem Nachholbedarf bei den Liegenschaften wird ein weiteres Thema in der nächsten Legislatur wichtig werden. Belp ist die grösste Berner Gemeinde, die noch kein Parlament hat: «Deshalb wird dies eines der Kernthemen sein. Es kann Belps Politik demokratischer machen, birgt aber die Gefahr, ein grosser Apparat zu werden. Es hat Vor- und Nachteile; wir müssen es sicher gut anschauen und eine Auslegeordnung machen, so wird sich zeigen, was Belp will», sagt Stefan Neuenschwander. «Persönlich finde ich das eine gute und kreative Idee. Man muss aber schauen, dass es nicht mit zu viel Administration verbunden ist und dass es agil bleibt. Und die einzelnen Bürger müssen immer noch das Gefühl haben, dass sie mitreden können», so Markus Müller.

Noch fährt Neuenschwander an drei Tagen pro Wochen auf seinem E-Bike nach Muri ins Notariatsbüro. Im Fall einer Wahl würde er seine Stelle künden. Markus Müller arbeitet heute mit all seinen Mandaten «rund 180 %». Würde er gewählt, möchte er das Orchester weiterführen, allerdings fortan im 20-%-Pensum als Co-Geschäftsleiter, damit nach fünf Jahren Aufbauarbeit sein Knowhow nicht verlorengeht. «Alles andere würde ich abgeben.»

Ob Gemeindepräsident oder Gemeinderat: Es gilt, einige heisse Eisen anzupacken und verfahrene Situationen weiterzubringen. Neuenschwander oder Müller wer wird Belps Nussknacker?

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