Das Resultat überrascht. Ohne sich zu kennen oder miteinander gesprochen zu haben, kommen sie zum selben Schluss: Die Sonne wird zur Tankstelle von morgen; für Autos, Postautos, Züge, Velos, ja sogar Fussgänger. Wobei Letztere das Sonnenlicht nicht direkt brauchen, hier wäre diese einfach ein Motivationstreibstoff.
Individuell bleibt wichtig
Doch zurück zur Mobilität. Der ländliche Raum hat besondere Herausforderungen. Aus Sicht eines Milans, der hoch über der «Pfyffe» seine grossen Kreise zieht, ist dies ein weitverzweigtes Strassennetz, das die lose verteilten Häusergruppen im Gantrisch verbindet. Selten bahnt sich ein gelber Bus den Weg durch die kurvigen Strassen. Fahrräder sieht er viele, meist aber mit schwitzenden Sportlerinnen, mit Richtung Asphalt gesenktem Kopf, um die Bestzeit vom letzten Aufstieg zu unterschreiten. Stau und Kolonnen gibt es nur, wenn die Traktoren fast gleichzeitig den Mist führen. Und des Milans Ruhe wird dann unterbrochen, wenn bei Schönwetter die lauthals kreischenden Motorräder einige Kurven fressen, ehe sie wieder hinter der Stossstange eines Fahrzeugs kleben. «Wer hier lebt und wohnt, ist auf eine individuelle Art der Mobilität angewiesen», meint Stefan Plüss von der TCS Sektion Bern. Und das wird in 100 Jahren noch so sein, weil dezentrale Wohnformen erst mal den Weg hin zu einem Netz von ÖV, Mitfahrpunkten oder Sharing-Möglichkeiten erreichen müssen. Klar, für diese Strecke kann ein Velo treue Dienste leisten oder ein gesunder Fussmarsch den Start in den Tag erfrischen. Aber wenn die «Horner-Kälte» sich durch die teuren Winterkleider frisst, die Velopneus auf den rutschigen Strassen kaum noch Halt finden oder der Regen anhaltend prasselt, wird das fahrende Dach und ein geheizter Innenraum zum Paradies. «Das Auto ist auf dem Land kaum zu ersetzen. Das heisst, man kann schon, aber dann braucht es massive Entbehrungen, die wohl nur wenige Menschen eingehen werden», ist sich Ruedi Marti, Inhaber der MARAG-Garagen, sicher.
Von Tür zu Tür
Und schon wird Mobilität zur Psychologie. Der Milan entfaltet seine Flügel und schwebt in die Freiheit. Seine Mobilität hängt einzig von seiner Gesundheit ab. Der Mensch hat ein durchaus ähnliches Bedürfnis wie der Greifvogel. Wann und wo immer er hinkommen will. Im Gantrischgebiet ist das Auto das Freiheitssymbol des Menschen. «Ich mache die Erfahrung, dass Menschen, die ohne Auto leben, meist, wenn Kinder die Familie bereichern, plötzlich wieder ein eigenes Auto möchten; aus Sicherheit und wegen der Flexibilität», erzählt Plüss. Der Schwarzenburger Gemeindepräsident Urs Rohrbach ersetzt das Auto konsequent mit seinem Stromer. Er zeigt die alternativen Möglichkeiten der menschlichen Freiheit. Selbst der fitte Präsident würde aber vermutlich ohne Strom spätabends nach der letzten Sitzung, wenn die Postautos bereits wieder in der Garage stehen, nur ungern den müden Körper ohne Stromantrieb nach Milken jagen. Die Freiheit, das Bedürfnis, wann immer man will von Tür zu Tür zu gelangen, öffnet die grosse Welt der strombetriebenen Fahrzeuge; egal auf wie vielen Rädern. Oder die Hybridvariationen, die sich derzeit besonderer Beliebtheit erfreuen.
Lithium oder Öl?
Denn eines sehen die Menschen im Gantrischgebiet so gut wie der Milan, auch ohne Vogelperspektive: Die Natur ändert sich, Wetterextreme erschweren Tier, Natur, Landwirtschaft das Überleben. In der Region verändert sich die Baumgrenze, der Borkenkäfer wird zur immerwährenden Bedrohung, die Trockenheit macht den Untergrund unsicher und versetzt jahrhundertealten Bäumen den Todesstoss. Kaum jemand, der im Gantrischgebiet lebt und nicht dessen Natur und Schönheit schätzt und schützt, eine Gemeinsamkeit der ganzen Bevölkerung. Also weg von fossilen Brennstoffen, hin zu elektrobetriebenen Fahrzeugen. Nur, sind denn elektrische Antriebe wirklich besser? «Auf jeden Fall. Der Fussabdruck eines E-Autos ist trotz grossen Lithium-Batterien kleiner als jener eines Verbrenners; sogar der Hybrid ist schon weitaus besser», weiss Marti. Vorsichtig gesagt ist das E-Auto das kleinere Übel. Noch. Denn: «In diesem Bereich laufen im Moment viele Versuche, etwa mit Natrium», verrät der Garagist aus Toffen. Immer mehr Marken, wie etwa Toyota, setzen zudem auf Rücknahmeverträge, wonach Teile wiederverwertet werden, insbesondere das Lithium, damit es im Kreislauf bleibt. Öl ist ein Rohstoff, der vergänglich ist, Lithium lässt sich dagegen weitaus länger nutzen.
Die Zukunft ist variabel
Noch fallen die Reichweiten von Elektrofahrzeugen zusammen, wenn die beschriebene «Horner-Kälte» einsetzt, noch gibt es kaum Möglichkeiten elektrisch einen Kuh-anhänger zu ziehen oder schwere Transporte durchzuführen. Je mehr der Bedarf Richtung Nutzfahrzeug geht, desto schwächer wird der Elektroantrieb. «Die Zukunft ist deshalb nicht mehr auf eine Energieform ausgerichtet, sondern variabel, je nach Einsatz und Bedarf», weiss Plüss vom TCS. Es gibt Alternativen mit synthetischen Treibstoffen, die noch ein wenig an die Fonduepaste erinnern, oder aber mit Wasserstoff. Marti ist von letzterem begeistert: «Davon werden wir noch viel hören», sagt er mit einem Schmunzeln. Klar, denn seine Markenvertretung hat das erste wasserstoffbetriebene Auto in der Flotte; emissionsfrei und lithiumfrei. Wasserstoff treibt den 40-Tonner an und hat kaum Grenzen für die Zuglast bei Hängerfahrzeugen. Und es gibt noch einen Grund, der für Wasserstoff sprechen könnte: die Energiemangellage. Die Politik will die Mobilität elektrifizieren, kämpft aber mit Stromknappheit. «Energie ist in einem komplexen internationalen Netz miteinander verknüpft. Wenn da ein Rädchen nicht mehr dreht, wird das System plötzlich anfällig», ist sich Plüss sicher.
Das Haus als Tankstelle
Würden alle Schweizerinnen plötzlich elektrisch fahren und Luftwärmepumpen betreiben, das System würde kollabieren, wissen die Politiker und bringen dieses Argument immer wieder vor. Doch die beiden Experten sehen eine Lösung. Nicht in weiter Ferne, sondern direkt vor der Haustüre: Das eigene Heim wird zum Stromgenerator des eigenen Bedarfs. Man wird unabhängiger und gewinnt auch in diesem Bereich die Freiheit zurück. «Die lokale Stromproduktion macht unabhängig bei Haus und Mobilität. Man stelle sich vor, Strom würde einmal rationiert, dann ist eine eigene Produktion plötzlich der Schlüssel zur Freiheit», malt Plüss ein Bild mit Blick auf den nächsten Winter und die Stromsituation der Schweiz. Solar allein macht aber noch keine Freiheit. Es geht um die Art und Weise, wie überschüssige Energie genutzt wird, die das Haus zur Tankstelle verwandeln kann: Entweder speist Solar die Autobatterie oder bezieht von dort wieder Strom, Haus und Fahrzeug können zusammenarbeiten und «man kann zuhause überschüssige Energie in Wassertstoff umwandeln und damit speichern», ergänzt Marti. Wasserstoff kann dann als Treibstoff direkt genutzt oder wieder in Strom umgewandelt werden. «Wir werden also noch viel von Wasserstoff hören», ist sich Marti sicher. Wenngleich die Wasserstoffproduktion selbst viel Energie benötigt, erste Speichermöglichkeiten für den heimischen Strom gibt es und sie sind der Schlüssel zur Unabhängigkeit, auch bei der Mobilität.
Sind Mieter benachteiligt?
«Das Interesse an Hybrid- und Elektrofahrzeugen ist auf dem Land in den vergangenen Jahren massiv gestiegen», verrät Marti anhand der Verkaufszahlen der MARAG. Auch im KMU-Bereich. Für viele Handwerksbetriebe ist der Elektrowagen mit dem Solar auf dem «Buden»-Dach eine ideale Kombination. Wer aber zur Miete wohnt, wird Mühe bekunden, seine Stromproduktion zu bauen und seine Tankstelle zu betreiben. Das ärgert Plüss: «Ich verstehe nicht, dass die Energieversorger der Gegend in diesem Bereich nicht mehr machen. Stromtankstellen auch für Mieter zu standardisieren wäre denkbar einfach.» Ein Blick in die Haustechnologie von Mehrfamilienhäusern zeigt sogar noch eine Stärke der verdichteten Wohnform: Ein Solardach für mehrere Parteien mit mehreren Stromfahrzeugen kann noch effizienter arbeiten.
Darf man noch ein Auto besitzen?
Doch raus aus der Garage und zurück auf die Räder der Freiheit. Der Milan erkennt an den Wochenenden Richtung Berghaus Gurnigel oder Selital noch ein Phänomen: einen schier endlos wirkenden Tatzelwurm aus Blech, der sich in der Sonne spiegelt und ihn blendet. Hat die Freiheit des eigenen Gefährts ausgedient und muss die Zukunft auf Sharing-Modelle, Road-Pricing und ÖV setzen? «Der ländliche Raum ist, sobald man das Auto wegdenkt, immer im Nachteil», warnt Plüss. Er glaubt nicht, dass ein Mobility-Pricing zielführend sein wird und befürchtet bei einem solchen Prinzip die Bevorteilung vermögender Menschen gegenüber anderen. Marti hingegen kennt die Sharing-Möglichkeiten. «Mybuxi», der Fahrdienst auf Verlangen in Belp, setzt auf einen Elektrobus aus seiner Garage. Während der Garagist informiert, wird dieser Pionier der Gegend gerade gewartet. Ein Bild mit Symbolkraft: «Die jüngere Generation sieht das mit dem eigenen Auto anders, hier findet eine Art Wandel statt, Sharingmodelle in einer Wohnsiedlung oder auch im grösseren Stil haben ein gewisses Potenzial», ist sich Plüss sicher. «Zumindest, bis man mit dem Kleinkind dringend ins Spital muss und sofort losfahren sollte», verweist er wieder auf das erwähnte Phänomen. Marti hingegen denkt wieder an die Menschen in den entlegenen Gebieten. Wer in der «Einhalten» wohnt, verlässt in Rüschegg Gambach die Hauptstrasse und schlängelt sich noch zwei Kilometer über eine Schotterstrasse in die steile Waldflanke unterhalb von Guggisberg. Wer hier etwas teilen will, kann vielleicht Fuchs und Hase mitnehmen, wer hier aufs Postauto will, darf bis zur Haltestelle den Rucksack nicht vergessen und wer hier mit dem Velo fährt, wird voraussichtlich innerhalb zweier Jahre die Tour de Suisse für sich entscheiden können. Kurz und knapp: Sharing gehört in die Zivilisation. Stefan Plüss fasst deshalb zusammen: «Rufbusse wie ‹mybuxi› oder selbstfahrende Postautos, das sind Lösungen, um das Land besser im öffentlichen Verkehr anzubinden, ohne die Kostenneutralität zu verlieren. Aber ein städtischer Minutentakt wird nie möglich sein, es sollte einfach besser als heute sein. Deshalb bin ich ein Verfechter des Rechts, das Transportmittel selbst wählen zu dürfen. Ob Stadt oder Land man hat jeweils Vor- und Nachteile. Und die darf man nicht gegeneinander ausspielen.»
Wenn in ein paar Jahren die Nachkommen des besagten Milans dereinst ihre Schwingen ausbreiten, wird sich das Bild unter ihnen nicht wahnsinnig verändert haben. Es werden Autos sich ihren Weg durch die Kurven bahnen, Haltestellen und Mitfahrpunkte werden weitere Menschen befördern, die Velofahrer dürften immer noch schwitzen und das Haupt tief über das Vorderrad gesenkt gegen die Zeit strampeln. Und doch ist es ganz anders. Der lauthals aufheulende Motor wird seltener, der Geruch von Verbrennungsmotoren verflüchtigt sich allmählich. Segeln die Nachkommen des Milans also in eine Zukunft, in der die Schönheit des Gantrischgebiets erhalten bleibt? Daran arbeiten viele Menschen fieberhaft und die Mobilität steht – um einen Begriff aus dem Rennsport zu gebrauchen – in der Poleposition. «Wir werden uns nun daran gewöhnen, dass Mobilität variabel ist, je nach Ort, Möglichkeit und Bedürfnissen», schliesst Stefan Plüss seine Gedanken und ergänzt mit einem Lächeln: «Ausser die Politik zwingt uns ein System auf und drängt die anderen zurück.» Die Tankstelle in der Wislisau dürfte also dereinst Strom, Benzin, Diesel, Wasserstoff und synthetische Treibstoffe anbieten. Doch Ruedi Marti von den MARAG Garagen weiss: «Ganz so schnell wird es dann doch nicht gehen, bevor alle Herausforderungen gelöst sind, haben wir wohl noch eine Espressomaschine im Auto.» Aber der Weg ist vorgezeichnet: Zuhause entsteht eigener Strom für Heim und Mobilität – denn: Solar braucht Räder.