Die letzten Lauchstängel und Federkohle sonnen sich an diesem Nachmittag, nachdem sie erfolgreich den Winterstürmen getrotzt haben. Bei den Gärtnerinnen und Gärtnern der Anlage kehrt langsam Vorfreude ein. Die Beete werden fit für das Frühjahr gemacht, frische Erde wird hingekarrt und die zahlreichen Lauben in ihren lieblichen Zustand zurückversetzt, nachdem sie, gut verschlossen, der Kälte getrotzt haben. Man kennt sich, wenngleich die Sprachen sich abwechseln. Hier ein wenig berndeutsch, da ein wenig kroatisch und dort noch österreichisch.
Selbstversorgung
Manuela Zellhofer ist eine junge Informatikerin. Sie wohnt in einer grösseren Überbauung am Stadtrand von Thun, in einer Betonwüste. Ihr Schrebergarten ist ein Zufluchtsort ins Grüne mit Potential, Wurzeln zu schlagen. «Zuhause in Niederösterreich bin ich mit Gärtnern aufgewachsen. Daran habe ich gute Erinnerungen bis hin zum selbstgemachten Himbeerlikör», schmunzelt sie. Ein Blick auf ihre Scholle genügt: Himbeeren hat sie. Heimatgefühle und die Stadtflucht sind Gründe, die auch andere Gärtner kennen. Wie Dragan oder Jubica aus Kroatien. Sie kennen, wie viele Kulturen aus dem Mittelmeerraum, eine jahrhundertealte Gartentradition. Der Gemüseanbau dient in diesen Ländern bis zu einem gewissen Grad der Selbstversorgung. Schrebergärten entstanden einst genau aus diesem Grund. Zu Ehren der Verdienste des Leipziger Arztes Dr. Daniel Gottlieb Schreber ernannte die Stadt einen Platz nach ihm. Darauf entstanden am Rande mehrere Kleingärten mit dem Ziel, das vor allen Dingen ärmere Menschen aus der Stadt die Möglichkeit erhalten, sich teilweise selbst zu versorgen. Ein Prinzip, das zuvor schon an anderen Orten von reichen Grossgrundbesitzern angeboten wurde.
Erlebnis
Solche Möglichkeiten verbreiteten sich rasant in ganz Zentraleuropa. Die Gartenarbeit sollte zu Fleiss und Familiensinn erziehen sowie die Menschen von Alkohol und Politik fernhalten. Es entstanden die Begriffe Klein- oder Familiengarten. In der Schweiz schlossen sich diese 1925 zu einem Verband zusammen, der bis heute rund 30’000 Mitglieder und 400 Anlagen zählt. Die damaligen Gründe, dem Alkohol zu entsagen oder sich politisch nicht zu organisieren, sind in den Hintergrund getreten, Hungersnöte glücklicherweise ebenfalls. Geblieben ist aber das durchwegs positive Familienerlebnis. Kinder spielen, helfen mit und kommen zusammen. Sie sind die Eisbrecher, damit ihre Eltern untereinander ganz natürlich in Kontakt kommen. Schon wird aus den Schrebergärten eine Begegnungszone, egal welche Sprache man spricht, egal was man genau anbaut, egal welche berufliche Stellung man hat. In den Gartenclogs sind alle gleich.
Kontrapunkt
Einen kleinen Unterschied machen vielleicht die Gartenlauben. Vom einfachen Bretterverschlag, hin zu einer kleinen Blockhütte bis zum Häuschen im skandinavischen Rot; es scheint, als konkurrieren die kleinen Gebäude mit den Pflanzen um die Farbenvielfalt. Diese kleinen Bauten sind ein typisches Element der Schrebergärten. Historisch sind sie in den Kriegsjahren oft als Zufluchtsort genutzt worden, selbst als dauerhafter Wohnsitz. Das offenbarte die herrschende Not, denn die Lauben waren auf 24m2 Fläche begrenzt und der Garten auf 400m2. Wenngleich heutige Anlagen da und dort ein wenig davon abweichen, so sind diese Grössenverhältnisse nach wie vor ein Gradmesser. In Seftigen scheinen die Ausmasse kleiner, die Not ist es ja schliesslich auch. Als Zufluchtsort hingegen scheinen die Lauben nach wie vor zu dienen. Nicht vor dem Krieg, sehr wohl aber vor den Mietshauskasernen, vor dem städtischen Grau. Deshalb scheinen dem einen oder anderen Zierpflanzen ein wenig wichtiger zu sein als der eigentliche Ertrag. Nicht so bei Manuela, Dragan und Jubica. Sie gärtnern ambitioniert und erfreuen sich einer guten Ernte.
Wirft man vom Zug oder vom vorbeifahrenden Auto nur einen kurzen Blick auf Seftigens Klein- oder Familiengärten, man würde nicht erahnen, welch Kleinode voller Begegnungen, Freundschaften, Freude und Glück an der Talsohle warten. Schrebergärtner sind Streber. Nicht nach Erfolg und Anerkennung, sondern nach Glück. Ernte garantiert.