«Jeder Bauer arbeitet gern, sonst machst du das nicht»

«Jeder Bauer arbeitet gern, sonst machst du das nicht»

Mit ihrer Plattform Mucca.ch versucht Lara Steiner den Brückenschlag zwischen Konsumentin und Produzent. An den neu angebotenen Erlebnistagen können Interessierte auf Bauernhöfen in der ganzen Schweiz mit anpacken, Fragen stellen und hautnah erleben, woher ihre Lebensmittel kommen und wie viel Arbeit dahintersteckt. Auch bei Familie Böhlen auf dem Muriboden-Hof in Riggisberg gibt es Spannendes zu entdecken und erfahren.

Im Frühling stimmte die Schweiz über zwei brisante Agrarinitiativen ab, die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative. Was sich dabei – abgesehen von zunehmend hitzig statt rational geführten Debatten – einmal mehr zeigte, war der grosse Graben zwischen Stadt und Land. Zwischen Konsument und Produzentin. «Während der Pandemie gewannen Hofläden an Wichtigkeit, mit den Initiativen ging diese positive Veränderung wieder verloren», berichtet Lara Steiner, Ini­tiantin von Mucca.ch. Die Plattform bietet die Gelegenheit zum direkten und persönlichen Austausch zwischen Bäuerin und Kunden. Unwissen und Vorurteile machen das Zusammenleben zwischen Stadt und Land momentan schwierig. «Dadurch, dass wir die Konsumenten und Läden persönlich kennen, können wir auch direkt erklären, wenn es Ernteausfälle gab oder wieso ‹Rüebli› krummer sind als in der Werbung. Die Kommunikation, die Verbindung zwischen Produzent und Konsument ist unglaublich wichtig.» Mit den neu geschaffenen Erlebnistagen solle genau dieser Kontakt gefördert werden, das Interesse sei auf beiden Seiten da. Steiner ist überzeugt, dass nur so regionale und fair produzierte Lebensmittel wieder angemessen wertgeschätzt werden – genauso wie die Arbeit, die dahintersteckt und die beim Einkauf beim Grossverteiler nicht mehr wahrgenommen wird.

Faire Arbeit, faire Preise?
In Riggisberg ist früher Nachmittag, träge und ruhig liegt der Muriboden-Hof in der Sommersonne, friedlich zwischen Feldern und Wiesen. Doch so idyllisch es auch aussieht: Landwirtschaft ist vor allem harte Arbeit. Und viel Leidenschaft. «Jeder Bauer arbeitet gern, sonst machst du das schlicht nicht», erzählt Anna Böhlen mit Bestimmtheit, «da ist enorm viel Herzblut dabei.» Sie weiss, wovon sie spricht. Zusammen mit ihrem Mann übernahm sie vor fünf Jahren den Bauernhof von ihren Eltern, als Quereinsteigerin und mit viel Elan und Optimismus. Rund um den Hof wachsen Leinen, Mohn, Hafer, Dinkel und Lupinen. Eine kleine Mutterkuhherde und Wollschweine tummeln sich auf den Weiden. Die Verarbeitung läuft, soweit möglich, direkt auf dem Hof oder in Zusammenarbeit mit kleinen Betrieben. Einen Bauernhof dieser Grösse zu führen bedeutet Arbeit rund um die Uhr, jeden Tag, jede Woche, das ganze Jahr. Der Ertrag dieser intensiven Arbeit ist gering. «Wenn die tatsächlichen Kosten und der Aufwand eines Lebensmittels sich im Laden abbilden würden, dann wären die Preise astronomisch», meint die Bäuerin. Die Bedingungen, zu denen in der Schweizer Landwirtschaft produziert wird, sind stark abhängig von den Grossverteilern. Die Preise richten sich nicht nach investierter Arbeit, Aufwand oder Arbeitsbedingung. Der grösste Anteil des Ladenpreises geht an den Grossverteiler selbst, an den Hersteller geht ein Minimalbetrag. Mit den Einnahmen lassen sich somit kaum die Produktionskosten decken. Kleinbetriebe tun sich schwer damit, die geforderten Mindestmengen zu produzieren und abzuliefern. «Ziel kann trotzdem nicht sein, dass Betriebe immer grösser werden. Die kleinen Strukturen, die wir hier in der Schweiz kennen, wären sinnvoll, am nachhaltigsten und gesündesten für alle Seiten», so Böhlen.

Selbst anpacken
Dass die aktuelle Landwirtschaft früher oder später in eine Sackgasse führt, davon sind die beiden Powerfrauen Lara Steiner und Anna Böhlen überzeugt. Steiner spricht mit Betroffenheit von rund 1000 Betrieben, die jährlich den Kampf aufgeben, keine Nachfolge finden und Konkurs gehen. Sie kämpft mit ihren ganz eigenen Mitteln für grösseres Verständnis und Anerkennung der landwirtschaftlichen Arbeit. «Ich merke, dass immer mehr Bauern anfangen, neu zu denken und andere Wege zu gehen», berichtet sie. Bei vielen fehle aber das Know-how oder die Zeit, um beispielsweise Direktvermarktungen anzugehen. Bauernbetriebe müssen im digitalen Zeitalter ankommen, der Vertrieb von Hofprodukten per Webshop etwa ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch neue Angebote sind gefragt, wie die Erlebnistage. «Die Idee entstand in der Auseinandersetzung mit den beiden Agrarinitiativen. Ziel war, den Austausch zu fördern, das Verständnis für die Herkunft des Produkts zu stärken», erzählt die Initiantin. Seither wird die Palette der angebotenen Bauernhofaktivitäten auf Mucca.ch immer bunter: Käse herstellen, Fleisch räuchern, Schnaps brennen, Glacé machen oder wie bei Familie Böhlen in Riggisberg Hummus mischen und Haferflocken abpacken. Erlebnistage für Gross und Klein kosten zwar, aber die Einsicht in den Hofalltag lohnt sich allemal.

Unermüdliches Engagement
In der Organisation und Vermarktung unterstützt Steiner Bäuerinnen und Landwirte mit viel Wissen und Energie. Sie bewirtschaftet den Webshop und die Homepage, bespielt Social Media und rührt die Werbetrommel wo immer möglich. Die gewitzte Innerschweizerin scheint endlos Energie zu haben, Stillhalten kennt sie nicht. «Mucca.ch ist für mich keine Arbeit, sondern eher eine Leidenschaft», lacht sie. Auf die Ausbildung zur Primarlehrerin folgten Auslandaufenthalte, eine Weiterbildung zur Finanzplanerin und zahlreiche Fach- und Sprachdiplome. Diesen ganzen Erfahrungsschatz stellt sie mit Freude in den Dienst «ihrer» Bauern. Dort wird ihr Einsatz sehr geschätzt. Denn Vernetzung und Miteinander sind zentral, wenn etwas verändert werden soll. Als Einzelkämpfer erreiche man in der Landwirtschaft wenig, sagt Böhlen. «Wir möchten zurück zum Kleinen. Unsere Wunschvorstellung ist, dass einige Bauern sich einen Metzger, Müller oder Bäcker, ja selbst Maschinen, teilen. Es sollte ein Pensum sein, das man stemmen kann, und ein Kreislauf geschaffen werden, der aufgeht.» Bis zu dieser lokalen Zusammenarbeit ist noch ein weiter Weg, viele Gespräche und Diskussionen zwischen Bauern und Landwirtinnen und mit Konsumenten sind notwendig. Bis dahin sind auf dem Muriboden-Hof sowie auf allen anderen Mucca.ch-Höfen alle Interessierten willkommen, die Ärmel hochzukrempeln, mitanzupacken und Fragen zu stellen. Denn die meisten Bauern sprechen gerne über ihre Arbeit, so Anna Böhlen: «Bauer zu sein ist der schönste Beruf, den es gibt. Du bist fast alles: Tierarzt, Mechaniker, Gärtner, Marketing- und Administrations-Chefin… alle Berufe werden gebraucht. Du darfst dich ausleben und in die Richtung gehen, die du möchtest. Trotz allen Einschränkungen und Regelungen, die es gibt, hast du grosse Freiheiten.»

INFO
www.mucca.ch
www.muriboden.ch

Christa Pfanner

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«Jeder Bauer arbeitet gern, sonst machst du das nicht»

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