Heimatland im Herzen

Heimatland im Herzen

Rund 40 % der Schweizer Wohnbevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Viele der Eingewanderten halten Brauchtum aus ihren Herkunftsländern am Leben und geben es ihren hier geborenen Kindern weiter. Es ist ein reicher – und bereichernder – Kulturschatz.

«Wenn eine Person ihr Heimatland verlässt, so bleibt es trotzdem im Herzen.» Shamaila Azam sitzt in Belp in ihrem Wohnzimmer. Neben ihr ist ihre zweitälteste Tochter, die 16-jährige Abiha. Seit 2009 lebt die Familie in der Schweiz – die beiden Ältesten sind in Pakistan geboren, die drei Jüngeren in Bern. 

Respekt, Paratha, Bajram und Henna

Zwei Kulturen gehören zum Haushalt der Familie, beide mit ihren jeweiligen Traditionen. «Die Kinder sind mehr Schweizer», sagt Azam. «Aber was aus der pakistanischen Kultur gut ist, pflegen sie weiter.» Ganz wichtig ist ihr der Respekt vor anderen Menschen, im Fall ihrer Kinder insbesondere vor Lehrpersonen. Dies sei ihr schon von ihren Eltern vermittelt worden. Am Morgen backt Shamaila oft typisch pakistanisches Frühstück: Paratha-Brot mit Gemüse und Sauce, dazu gibt es den von den Briten übernommenen Milk Tea. Essen das die Kinder auch? Abiha lacht: «Wir Kinder essen lieber Brot mit ‹Gonfi› oder Cornflakes.» Shamaila erzählt aus ihrer Kindheit, als ihre Mutter jeweils frühmorgens Chapati-Fladenbrot buk. Sie vermisse das, vielleicht mache sie das morgen – doch die Tochter winkt ab. Dennoch pflegt sie manch eine Tradition aus dem Heimatland ihrer Eltern, zum Beispiel das Bemalen der Hände mit Henna. Im Dorf ihrer Grosseltern stand ein Hennabaum, von dem ihre Grosstanten jeweils Bätter pflückten und die Pigmente daraus herstellten. Hier bestellt man es online oder kauft es in spezialisierten Läden. Was aber über die Generationen und Kontinente hinweg bleibt: «Wo Freude ist, ist Henna.» So beschreibt es Shamaila, so leben es ihre Töchter. Sie geben die Freude im Quartier sowie an Anlässen der reformierten Kirche weiter. Sogar die Tageskinder, die Shamaila beruflich betreut, kehren immer mal wieder stolz mit verzierten Händen nach Hause. Für Shamaila, die Mitte Zwanzig war, als sie ihre Heimat verliess, sind mit den pakistanischen Gebräuchen viele Erinnerungen verbunden. Der Duft der Fladenbrote, das gemeinsame Feiern des Bajram zum Abschluss des Ramadans, das kunstvolle Henna-Malen: Die Heimat bleibt ein Teil von ihr, während sie gleichzeitig die Schweizer Politik verfolgt und auch gern Kartoffelgratin oder Älplermagronen kocht. 

Dorffest in 4600 km Entfernung

Semere und Luwam Gafo mit ihrer Tochter Betiel gehören zur eritreischen Diaspora in Belp. Sie pflegen eine besondere Tradition: Einmal pro Jahr treffen sie sich mit ihren früheren Nachbarn, die alle aus demselben Dorf stammen. Mebred, wie es heisst, wurde von Semeres Eltern mitgegründet. «Wir kennen uns alle seit der Kindheit», erzählt er. Heute leben sie in Belp, Bern, Biel, Sion, Freiburg oder Basel.Fernab der Heimat bleiben sie miteinander und mit Mebred verbunden. Ihre Kinder, die alle in der Schweiz geboren sind, erfahren so eine lebendige Brücke zwischen ihrer neuen Heimat und den Wurzeln ihrer Eltern: Die Dorfgeschichte wird in der Schweiz – nächstes Jahr wieder in Belp – weitergeschrieben. 

Newroz und gefüllte Weinblätter

«Meine Kinder mögen kurdisches Essen sehr, etwa gefüllte Reisbällchen oder Weinblätter. Aber wir kochen alles, auch die typischen Schweizer Menus.» Dunya Amin Ali kam als Sechsjährige aus dem Irak in die Schweiz. Mit ihren Kindern sprach sie von Beginn an konsequent sowohl berndeutsch wie auch kurdisch – alle drei sprechen beide Sprachen perfekt. Sie sind nun schon die dritte Generation in der Schweiz, und dennoch sie wachsen auch mit typisch irakisch-kurdischen Traditionen auf. Die enge Bindung ihrer Eltern zur Herkunft spielte gar eine Schlüsselrolle in der Entstehung der Familie.  «Ich lernte meinen Mann – auch er ein Iraker, der seit 20 Jahren in der Schweiz lebt – an einer kurdischen Silvesterfeier kennen», erzählt Amin Ali. Das kurdische Neujahrsfest Newroz zelebriert die Familie gern zusammen mit anderen irakischen Kurden. In der ganzen Schweiz trifft man sich an diesem Tag Ende März. Höhepunkt ist ein grosses Feuer, zudem treten bekannte kurdische Sänger auf. Am wichtigsten ist Amin Alis Familie jedoch Bajram, das Zuckerfest zum Abschluss der Fastenzeit. Regelmässige Reisen nach Kurdistan tragen dazu bei, dass die Kinder die Heimat ihrer Eltern nicht vergessen. Dunya Amin Ali hat sich fest für ihre Einbürgerung eingesetzt. So sehr sie die kurdischen Traditionen liebt, pflegt und an ihre Kinder weitergibt: «Ich habe mehr Schweizer Kultur als irakische und bezeichne die Schweiz als meine Heimat.» Eine Heimat, die im Lauf der Zeit immer wieder neu geprägt und bereichert wird. 

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Heimatland im Herzen

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt