Freiheit im Fahrtwind – oder Lärm und Abgase?

Freiheit im Fahrtwind – oder Lärm und Abgase?

Die legendären Maschinen von Harley-Davidson gehören zu den meistverkauften Töffmarken der Welt und haben sich längst zum Synonym für Freiheit gemausert. Gleichzeitig ist das Bewusstsein für klimaverträgliches Leben grösser denn je, Lärm und Abgase sind ausserhalb der Bikerwelt nicht mehr so sexy - besonders in einem Naturpark. Christian Ulmann, Hansueli Bachmann und das Arni-Team starten derweil am Flughafen Belp mit ihrer Harley-Davidson-Vertretung in die erste Saison.

Seine Eltern nahmen ihre drei Kinder im eigens dafür umgebauten Seitenwagen mit, sei es zum Einkaufen, für Besuche oder Ausflüge: Bis er achtjährig war, besass die Familie von Christian Ulmann kein Auto. Vater Ernst Ulmann ist in der Szene kein Unbekannter – er gründete mit der heutigen Triumph City ein bekanntes Motorradgeschäft in Grossaffoltern. Das Fieber für die schweren Maschinen wurde Ulmann also quasi in die Wiege gelegt. So erstaunt es nicht, dass er sich bereits als 21-Jähriger als Harley-Davidson-Händler selbständig machte. Nach vielen Jahren im solothurnischen Hessigkofen, die vergangenen zehn davon als Co-Inhaber, folgte im letzten Herbst der zweite Standort am Flughafen Belp. «Auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten im Raum Bern-Süd hatten wir die Idee einer Filiale in einem ungenutzten Hangar.» Die Anfrage bei Flughafen-CEO Urs Ryf ergab, dass dies aus Sicherheitsgründen zu kompliziert würde. Aber er erzählte Ulmann und dessen Geschäftspartner Hansueli Bachmann vom Flughafenhotel, das demnächst umgebaut würde. In Zusammenarbeit mit Hans-Ulrich und Christian Müller entstanden bald Nägel mit Köpfen: «Wir fällten den Entscheid zum Bau der Räumlichkeiten innerhalb eines Monats.»

Jede Harley sieht anders aus

Nun starten die beiden mit ihrem Team in die erste Saison. «Die Freude ist riesig, wir sind gut eingearbeitet und in den Startlöchern», sagt Ulmann. Die Faszination für die Marke Harley-Davidson ist bei allen im Geschäft spürbar. Doch was macht die Maschinen aus Milwaukee so besonders? Da gäbe es verschiedene Faktoren, sagt er. Sie seien anderen Marken technisch immer wieder voraus, verpackten dies jedoch geschickt, sodass die Nostalgie erhalten bleibt. Nach wie vor am bekanntesten seien die 50er-Jahre-Modelle, die auch Elvis Presley fuhr. Inzwischen gibt es aber verschiedenste Familien. Ihnen allen gemein ist, dass ab Produktion die Grundmodelle geliefert werden. Anschliessend investieren die meisten Besitzerinnen und Besitzer einiges an Zeit und Geld in die Individualisierung. «Der Zubehörkatalog von Harley ist so dick wie ein Telefonbuch», sagt der Fachmann mit einem Lachen. Mehrere Sättel pro Modell, Rückenlehnen in hoher oder tiefer Ausführung, verschiedenfarbige Kissen oder 50 unterschiedliche Lenker stehen zur Auswahl. Er erzählt von einem Harley-Treffen mit rund 2000 Maschinen: «Da waren kaum zwei gleich aussehende Exemplare zu finden.» Apropos Treffen: Wer regelmässig auf den Strassen unterwegs ist, hat sicher schon bemerkt, dass sich Motorradfahrende meist grüssen und sich als Teil einer Gemeinschaft verstehen. Auch in der engsten Kurve wird zumindest der Zeigefinger zum Gruss erhoben. Harley-Davidson legt grossen Wert auf die Pflege ihrer «Community». In der Schweiz seien aktuell etwa 52’000 Motorräder der Traditionsmarke eingelöst; es gibt 16 offizielle Händler. Ihnen angeschlossen sind 22 sogenannte Harley Owners Groups (H.O.G.-Chapter). «Dort kennt man sich», sagt Ulmann. Gemeinsam unternehme man Ausflüge oder nehme an Veranstaltungen teil, etwa an jährlichen Treffen. Eine eingeschworene Gemeinschaft? «Es gibt viele Hardcore-Fans mit Ledergilet und Plaketten», antwortet er. Und betont: «Für mich und viele andere sind wir aber nicht besser als Fahrer anderer Marken. Töfffahrer sind Töfffahrer Toleranz ist wichtig.»

Durch die Natur knattern

Toleranz ist auch in anderen Bereichen gefragt. Wenn schwere Maschinen frühmorgens durch Quartiere knattern, wenn an sonnigen Wochenenden Gruppe an Gruppe mit unüberhörbarer Präsenz durch Dörfer kurvt, einer Passstrasse entgegen, dann stösst dies nicht nur auf Begeisterung. «Ich kann das verstehen, und wir versuchen aktiv, unsere Kundschaft zu sensibilisieren», so der Biker. Es gäbe zum Beispiel Klappenauspuffsysteme, die es ermöglichen, an neuralgischen Stellen den Auspuff zu schliessen und somit den Lärm zu reduzieren. Auch diverse Verbände sind aktiv geworden; Kampagnen wie «Laut ist out», bereits Mitte der 1990er-Jahre lanciert, sowie neuere Aktionen sollen «ein positives Zeichen setzen», wie etwa die Initiaten von «Respekt statt Lärm» sagen. Wer jedoch bei «Töffwetter» durch die Natur der Gurnigelregion wandert, merkt: Trotz gutem Willen sind die motorisierten Zweiräder weitherum zu hören. Schliesslich ist ihr Motorenraum nicht geschlossen, der Hubraum ist klein. Katharina Conradin,  Leiterin räumliche Entwicklung und Wirtschaft beim Förderverein Region Gantrisch (FRG), bestätigt denn auch: «Im Naturpark Gantrisch ist der Lärm vor allem im Gurnigelgebiet ein Thema. Hier prallen die Interessen von verschiedenen Menschen aufeinander: Während die einen Ruhe beim Wandern suchen, möchten die anderen in hohem Tempo über die Passstrasse fahren. Der Förderverein Region Gantrisch möchte sich in Zukunft vermehrt für eine Reduktion der Lärmbelastung einsetzen.» 

Kompromiss E-Töff?

Für viele Motorradfahrende ist der «Sound» ihrer Maschine ein wichtiger Bestandteil der Faszination. Dennoch entwickelte Harley-Davidson schon ab 2012 einen E-Töff, dessen Prototyp Ulmann vor zehn Jahren als nur eine von drei Personen in der Schweiz probefahren durfte: «Das war sensationell, die Fahrleistung ist grandios.» Ende 2019 kam er auf den Markt, inzwischen hat der Konzern diesen Zweig ausgelagert. Ulmann ist daran interessiert, die LiveWire-Maschinen als offizielle Vertretung an seinen Standorten anbieten zu können. Schon mehrmals überredete er überzeugte Biker, die «nie im Leben so etwas fahren wollten», doch mal eine elektrisch angetriebene Version auszuprobieren. «Sie alle kehrten mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurück», erzählt er. Das Drehmoment und die Agilität seien faszinierend. Und der Sound? «Der fehlt mir beim E-Töff-Fahren nie.» Hingegen sei es durchaus irritierend, wenn ein solcher quasi geräuschlos an ihm vorbeifahre. «Aber das ist Gewöhnungssache.» Hingegen bringen die strombetriebenen Motorräder andere Herausforderungen mit sich: «Ein Auto ist hauptsächlich ein Fortbewegungsmittel, ein Töff aber meist ein Hobby, das man mit Freunden und Kolleginnen ausübt.» Wenn nun eine Gruppe elektrisch unterwegs ist und nach 150 km alle gleichzeitig den Akku laden müssen, stösst manche Infrastruktur an ihre Grenzen. Oder wenn nur einzelne laden, aber alle anderen warten müssen: «Dann bin ich der ‹Quere› in der Landschaft.» Dennoch ist der Fachmann vorsichtig optimistisch für eine Zukunft mit mehr Bikes ohne Verbrennermotor: «Wenn die Reichweiten bedeutend zu- und die Ladezeiten abnehmen, sehe ich einen Markt dafür.»

Den Fahrtwind im Gesicht, die Beschleunigung im Bauch, Berge und Täler ringsherum, Weggefährten vor und hinter sich: Die Faszination Töfffahren wird so schnell nicht aus der Gesellschaft verschwinden. Längerfristig wird sie sich unweigerlich dem Zeitgeist und neuen Gesetzen anpassen. Biker bewegen sich in ihrer Gemeinschaft sind aber genauso Teil der Gesellschaft, was Toleranz und Rücksichtsnahme von allen Seiten erfordert.

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Freiheit im Fahrtwind – oder Lärm und Abgase?

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