Ein Gewinn für alle

Ein Gewinn für alle

Ein Jahrhundertbauwerk erhält in diesen Wochen in Toffen den letzten Schliff. Schutzmassnahmen sollen Schäden, auch jene von Jahrhunderthochwassern, minimieren. Gleichzeitig nutzt die Gemeinde die Arbeiten, um die Uferzonen aufzuwerten und ökologische Ausgleichsflächen zu schaffen.

«Vorher war es einfach ein Kanal, jetzt ist es richtig schön.» Fredy Grogg, Toffener Gemeinderat und Ressortleiter Infrastruktur, steht am Ufer der Gürbe und schaut über die breiten Steinstufen auf das friedlich dahinplätschernde Wasser. In den vergangenen zwei Jahren sah es weniger schön aus: Ein grosser Teil der Bäume entlang des linksseitigen Ufers mussten weichen, rechts wurden Dämme aufgeschüttet, im Wasser standen Baggerplattformen und überall Baumaschinen. Verschiedene Dämme schützen nun ein ganzes Wohnquartier, die Toffener Industrie sowie den Talgut-Hof. Die Massnahmen sollen aber auch einen linksseitigen Ausbruch des Wassers verhindern und so bei Hochwasser den Bahnhof und dicht besiedelte Wohngebiete verschonen.

Grossereignis von 1990
Nach 1927 und 1938 gab es 1990 wieder ein sogenanntes Grossereignis. Am 29. Juli löste sich über der Gantrischkette eine «Gewitter-Superzelle». Innert Kürze wurde aus der Gürbe ein reissender Fluss, es kam zu massiven Schäden. Die Summe belief sich auf 40 Mio. Franken, 10 Mio. davon allein in Toffen. Auch darum waren neue Hochwasserschutzmassnahmen nötig. Seit 2005 wurde das Schutzprojekt untere Gürbe geplant.
Federführend war der Wasserbauverband untere Gürbe und Müsche, dem die zehn Gemeinden Belp, Burgistein, Gurzelen, Kaufdorf, Kehrsatz, Kirchdorf, Thurnen, Rümligen, Seftigen und Toffen seit 1996 angehören. Es wirkten aber zahlreiche andere Akteure mit: neben Ingenieurbüros auch kantonale Stellen wie das LANAT (Amt für Landwirtschaft und Natur) sowie das Fischereinspektorat und andere Fachstellen.

Aufwertung
«Die Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen war sehr interessant», schaut Grogg zurück. Er ist neben seinem politischen Amt selbständiger Gartenbauunternehmer und kennt sich mit Umgestaltungen aus. Für die Gemeinde Toffen, die von der zweiten Etappe der baulichen Massnahmen weitaus am Stärksten betroffen war, setzte er sich für eine Aufwertung der Uferräume auf Gemeindeboden ein. So gibt es jetzt nicht nur neue Dämme, Steilufer und diverse Holzverbauungen im Flussbett, sondern auch zwei Anlagen zum Verweilen, drei neue Treppenzugänge und mehrere schattenspendende Bäume beim Spielplatz und Sportplatz Allmend. Von Gesetzes wegen müssen heute bei der Umsetzung von Hochwasserschutzprojekten Flüsse auch aufgewertet werden: Der Gewässerrichtplan sieht vor, dass die Schutzfunktion in Einklang mit Ökologie und Biodiversität, mit dem Freizeit- und Naherholungswert, dem Landschafts- und Naturschutz sowie den Kosten gebracht werden muss. Das Hauptziel ist die Minimierung der Schäden auch bei extremen Hochwassern, und zwar für überbautes Gebiet sowie wichtige Infrastruktur.

Revitalisierung
«Es ist ein grosser Gewinn für Toffen», betont Grogg. Die Gürbe fliesst ruhiger, wird durch Hindernisse wie senkrecht eingerammte Holzstämme oder Wurzelstöcke aufgehalten – so ergibt sich Widerwasser. Unterschiedliche Fliessgeschwindigkeiten fördern die Ansiedlung von Fischen, Krebsen, Amphibien und schaffen ökologische Nischen für unzählige Kleintiere. Steckhölzer – meist Weiden – befestigen das Ufer, die Vernetzung zwischen Gewässer und Ufer ist verbessert, zudem wurde eine ausgeklügelte «Gürbemischung» angesät. Neu gesetzte Bäume wachsen, und Nistkästen für Wasseramseln sowie Eisvögel wurden unter Brücken und an Steilufern befestigt. Trotz Dämmen und einem 220 Meter langem Streichwehr – einer mechanisch regulierbaren Betonplatte – profitiert die Tier- und Pflanzenwelt also von Renaturierungsmassnahmen. Grogg bestätigt, dass er nun eine «richtige Artenvielfalt» beobachte. Bereits wurden vermehrt Wasseramseln, Eisvögel und Schwarzkehlchen beobachtet – die letzten beiden sind auf der roten Liste des BAFU als «verletzlich» beziehungsweise als «potenziell gefährdet» gelistet.

Zum Kanal und zurück
Die Renaturierung dient aber auch dem Schutz der ufernahen Zonen. In den letzten 150 Jahren hat sich die Anzahl Einwohner im Gürbetal verdoppelt. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts nahm der mäandrierende Fluss fast die ganze Talsohle ein. Dementsprechend sumpfig war das Land. Von 1855 bis 1865 wurde die Gürbe kanalisiert, von 1919 bis 1923 der Talboden grossflächig entsumpft. Man ging davon aus, dass es dank der Begradigung zu keinen Überschwemmungen kommen könne. Ein Fehlschluss, wie die Bevölkerung und die zuständigen Ämter schmerzhaft lernen mussten. Heute weiss man, dass ein sen Grad auch vor Überschwemmungen schützt. Erhält ein Gewässer mehr Raum, kann es im Hochwasserfall die Wassermassen besser aufnehmen und tritt weniger über die Ufer.

Schutz
Nun ist das Siedlungs- und Gewerbegebiet vor Überschwemmungen geschützt. Eines der wichtigsten Elemente ist das erwähnte Streichwehr. Am rechten Ufer, zwischen Kaufdorf und Toffen, wurde der Flusslauf verengt, so dass sich im Ernstfall das Wasser noch vor dem Dorf Toffen staut. Das Wehr liegt tiefer als der Damm und bildet dadurch eine gewollte Ausbruchstelle. Das Wasser läuft so kontrolliert auf der rechten Gürbeseite auf die Wiesen und Felder. Dort, etwas weiter vorne, liegen das Toffener Quartier Allmend und das Industrieareal. Um diese beiden Gebiete sowie um den Belper Weiler «Talgut» wurde ein rund ein Meter hoher Damm errichtet – auch die Trinkwasserleitungen, die Zugangsstrassen und -wege wurden angehoben. Das nun umgesetzte Schutzkonzept sieht vor, dass die Wassermassen durch einen Überlast-Korridor um diese Dämme herumfliessen und anschliessend wieder ins Flussbett eintreten. Im Schadensfall werden die betroffenen Landwirte vom Kanton entschädigt.

Test bestanden
13,75 Mio. Franken kostete der Wasserbauplan «Hochwasserschutz unteres Gürbetal». Die Kosten für die nun fertiggestellte zweite Etappe Kaufdorf-Toffen-Belp belaufen sich auf 8,4 Mio. Franken, rund 80% davon werden von Bund und Kanton übernommen. Der Grossteil des Restbetrags tragen die Gemeinden bzw. der Wasserbauverband. Am 21. Juni 2021, noch vor dem Abschluss der Bauarbeiten, kam es nach intensiven Gewittern zu einem Hochwasserereignis. Es kam zu Schäden an der Baustelle, aber die bereits realisierten Flussbettverbreiterungen und Dammerhöhungen verhinderten einen Austritt der Gürbe – Die Feuertaufe war damit erfolgreich bestanden.

Es wird davon ausgegangen, dass bisherige «Jahrhundertereignisse» aufgrund der Klimakrise öfters vorkommen werden. Die Bevölkerung entlang des unteren Gürbelaufs kann also froh sein, ist dieses «Jahrhundertprojekt» nun abgeschlossen. Die «Nidle» auf der Torte sind die aufgewerteten Uferbereiche und die Gürbe selbst, die nun revitalisiert, also hoffentlich langfristig wiederbelebt wird.

INFO
www.guerbe-muesche.ch

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Ein Gewinn für alle

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