Der Wald braucht uns nicht – wir brauchen den Wald

Der Wald braucht uns nicht – wir brauchen den Wald

Ein Wald ist mehr als bloss «viele Bäume»: Er festigt Hänge, speichert Wasser, liefert Holz, bindet CO2 und produziert Sauerstoff. In ihm findet man Ruhe, Erholung, Pilze und Beeren. Er ist Heimat für zahllose Säugetiere, Amphibien, Insekten und Vögel, in ihm wächst eine Vielfalt an Pflanzen. Ein Drittel des Naturparkgebietes ist mit Wald bedeckt. Doch Stürme, Hitze und Trockenheit setzen ihm zu. Unterwegs mit Revierförster Peter Piller.

Ein Förster sollte in der Titelstory dieser Ausgabe im Zentrum stehen. Beinahe in den Schatten gestellt jedoch wurde er von einem nur maximal 5 mm kleinen Wesen. Das Tierchen ist zwar ein natürlicher Waldbewohner, aber drängt sich aktuell ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wenn es um den Forst geht: der Borkenkäfer.
«Eigentlich verbringen wir den Sommer mit verschiedenen Arbeiten wie Holzverbauungen oder der Jungholzpflege», sagt Peter Piller, «aber die letzten beiden Sommer und wohl auch den nächsten bin ich zu einem grossen Teil mit Käferbäumen beschäftigt.» Käferbäume – das geschulte Auge erkennt sie schon von weitem. Beinahe täglich steht der Revierförster bei der Kirche Rüschegg und sucht sein Reich mit dem Fernglas ab. Findet er eine braune Baumkrone, muss der dazugehörige Stamm aufgesucht und untersucht werden. Braunes Bohrmehl auf den Rindenschuppen, in den Spinnenweben unten am Baum sowie Bohrlöcher bestätigen den Verdacht: Borkenkäfer haben sich zu Tausenden in die Rinde gefressen.

Heisse Sommer – wenig Harz
Der Borkenkäfer ist eigentlich kein grosses Problem für gesunden Wald. Sie suchen sich nämlich gezielt geschwächte Bäume aus. Kommt es zum massenhaften Befall wie die letzten Jahre, ist das «ein Wink mit dem Baumstamm», wie es Peter Wohlleben, Autor von «Das geheime Netzwerk der Natur», ausdrückt. Ein Wink, dass der Wald als ganzes aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Gesunde Bäume produzieren Harz, um einen Käferangriff abzuwehren. Doch nach grosser Trockenheit fehlt ihnen die Flüssigkeit dazu. Und mussten sie während dem Austreiben im Frühling auch noch einen Frost überstehen, sind sie schon von vornherein geschwächt. Dann haben die Borkenkäfer, hierzulande auch «Buchdrucker» genannt, ein leichtes Spiel. Sie bohren sich in die Rinde, paaren sich und legen um die 40 bis 60 Eier. Die geschlüpften Larven fressen Gänge in den Bast und unterbrechen so den Wassertransport des Baumes – er verdurstet und stirbt innert rund zwei Wochen.

Das Problem der Fichtenwälder
Kein Wunder, dass die am weitaus meisten befallenen Bäume Fichten sind – sie wurzeln flach und sind darum anfälliger bei Trockenperioden. Unsere Wälder bestehen zu einem grossen Teil aus Fichten, weil sich dieser Nadelbaum besonders gut natürlich verjüngt, wenig vom Wild geschädigt wird, auf unsere Standorte passt und sich gut wirtschaftlich nutzen liess.

Bei einem Befall muss schnell reagiert werden. «Es ist wichtig, regelmässig den Wald zu kontrollieren und befallene Bäume zu entfernen», so Peter Piller. Denn Bruch- und Windfallholz ist ein Nährboden für die hungrigen Forstschädlinge – so werden sie nach Massenvermehrungen genannt – und diese gab es nach den trockenen und heissen Sommern und im noch vorhandenen Burglindsturmholz zuhauf.

Brotbaum wird zum Käferbaum
«Die Fichte ist der Brotbaum des Waldes», erklärt der Förster. Jedenfalls war sie das lange – vor hundert Jahren liess sich 1 m3 Fichtenholz für rund 160 Franken verkaufen. Die Rottanne wächst nämlich schnell und gerade, ist gut bearbeitbar und dennoch äusserst stabil. Doch die Preisaussichten sind nicht mehr so rosig: Aktuell werden noch rund 45 Franken pro m3 Käferholz geboten. Auch das hat mit der Trockenheit und Hitze, mit der Häufung von Stürmen und der dadurch bedingten Massenvermehrung des Borkenkäfers zu tun: «Käferholz» ist oft blau verfärbt, da der Eindringling einen Pilz nach sich zieht.
Piller und seine Leute suchen täglich die Wälder ab («darum finde ich nie Pilze – ich schaue immer nach oben»), zeichnen Käferbäume an und informieren die Waldbesitzer (705 sind es allein in seinem Revier). Falls der Waldbesitzer es wünscht, organisiert Piller Forstunternehmen, die die Bäume fällen und entweder vor Ort entrinden («das zerschlägt den Käfer») oder abtransportieren. Den Burgerwald der Gemeinde Rüschegg bewirtschaftet der Forstkommunalbetrieb Rüschegg selbst.

«Je mehr Baumarten wir haben, umso besser können wir das Risiko verteilen», erklärt Peter Piller. Ein gut bewirtschafteter Wald ist weniger anfällig. Kranke und alte Bäume werden regelmässig entfernt, sodass Licht und Platz für Jungholz entstehen. Dem Käfer wird so die Grundlage für Massenvermehrung entzogen.
Unser Wald – natürlich und unterstützt im Umbruch

Fichten und Buchen prägen das Bild des Waldes im Naturpark Gantrisch. Aber auch Föhre, Ahorn, Eiche, Weisstanne gehören dazu, Kirschbäume, Esche, Birke, Lärche, Erle, Vogelbeere und viele mehr. Hinzu kommen Sträucher, Farne, Moose, Gräser, Blumen und viele andere Pflanzen.

In diesem reichen und reichhaltigen Lebensraum bewegen sich Insekten von Ameise bis Zecke, Wildtiere wie Hasen, Rehe und Füchse. Käuze, Fledermäuse und Spechte sind zu finden, unzählige verschiedene weitere Tierarten bevölkern unsere Wälder. «Sogar dem Luchs durfte ich schon mehrmals begegnen», schwärmt Peter Piller. Seit der Luchs wieder vermehrt in den hiesigen Wäldern unterwegs sei, habe der Verbiss von Weisstannen durch Rehe deutlich abgenommen.

Schutzwald, Plenterwald, Urwald
Grosse Teile des Waldes in unserer Region fungieren als sogenannte Schutzwälder: Entlang von Gewässern oder oberhalb von Siedlungen verhindern sie Murgänge, Überschwemmungen oder Lawinen. Die Wurzeln der Bäume festigen nicht nur den Boden, sie lockern ihn auch auf, so dass er auch grosse Niederschlagsmengen aufnehmen und speichern kann. Für Massnahmen, die zur Pflege und Erhaltung eines Schutzwaldes ausgeführt werden, werden die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer vom Kanton entschädigt.

Peter Piller und sein Team bewirtschaften ihren Wald – er wird also nicht sich selbst überlassen. Immer wieder werden Gruppen von älteren Bäumen gefällt, so dass Licht und Platz für neue entstehen. Somit findet man «Grosselternbäume» wie auch jüngere und ganz junge Bäume vor; alle Grössen miteinander. Dieses System nennt man «Plenterwald», in Laubwäldern auch «Dauerwald».

Bei einem Urwald hingegen werden keine Eingriffe vorgenommen. Die Bäume wachsen wie eine Wand in die Höhe, wodurch immer weniger Licht einfällt und neue Triebe somit klein bleiben oder verkümmern. Irgendwann, meist durch einen Sturm, fällt ein grosser Teil des Waldes zusammen und bleibt liegen. Nun wachsen wieder junge Bäume nach und der Kreislauf fängt von vorne an, während die alten Stämme langsam verrotten. Solch ein Wald kann kaum genutzt werden – weder zur Holzgewinnung noch als Ort der Erholung, da es keine Wege gibt und ein Betreten gefährlich wäre. «Eine nachhaltige Nutzung mit gezielten Eingriffen schafft dauerhaft eine grössere Biodiversität als ein Urwald», so Peter Piller. Eine interessante Tatsache, die vielen Menschen nicht bewusst ist.

Mehrstufige Waldränder, «unordentliche» Wälder
«In den letzten hundert Jahren herrschte ein Bild eines ‹geputzten, aufgeräumten Waldes› vor», erzählt Peter Piller. Dies bedeutet: reine Fichtenwälder, brauner, leerer Boden. Heute ist aber klar, dass eine solche Monokultur dem Wald nicht guttut. Biodiversität ist ausgedeutscht nichts anderes als eine gesunde, durchmischte Vielfalt von Bäumen und Pflanzen wie von grossen und kleinen Tieren. Um dies zu fördern, reichen manchmal einfache Änderungen und Massnahmen.

«Wir pflegen mehrstufige Waldränder», erwähnt der Förster eines von vielen Beispielen. Dabei wird der Wald, wie wir ihn kennen, von einem sogenannten Gehölzmantel umgeben: niedrige Bäume, Sträucher und Schlingpflanzen, Stauden und Kräutern. So entsteht ein Übergang von Wald zum Offenland. Er dient vielen Tieren als Rückzugsort, als Brutplatz oder Überwinterungsquartier. Peter Piller und sein Team lassen oft auch bewusst Ast- oder Steinhaufen zurück. Manchmal werden diese beinahe kunstvoll geschichtet, auch in Zusammenarbeit mit Zivildienstleistenden, dem Naturpark oder Freiwilligen. Sie werden von Insekten und Schmetterlingen, von Amphibien oder Hermelinen bewohnt.

Überrumpelte Bevölkerung
«Der Kanton hatte vor mehreren Jahren solche mehrstufigen Waldränder als grosses Projekt vorangetrieben», berichtet Peter Piller. Dadurch sei die Bevölkerung teilweise überrumpelt worden – plötzlich habe es immer mehr Sträucher und Asthaufen gegeben. Es schien, als lägen die Förster nur auf der faulen Haut. Auch Piller musste einiges an Anschuldigungen einstecken. Doch: «Ein Wald braucht Zeit», so Piller. Und immerhin etwas an Zeit ist inzwischen vergangen, erste Resultate werden sichtbar: gesündere Wälder, mehr Pflanzen und Tiere, die als Nützlinge regulierend wirken. Etwa die Hermeline, die den Landwirten bei der Dezimierung von Mäusen helfen.

Trockenheit bringt Veränderung
«Schon bei uns ist es brutal, aber im Mittelland müssen sie vielerorts den Kampf aufgeben.» Peter Piller bezieht sich auf Berichte von Wäldern wie den Hardwald bei Basel, in dem seit letztem Jahr über 2000 Bäume der Hitze zum Opfer gefallen sind und der aus Sicherheitsgründen für die Öffentlichkeit gesperrt werden musste.

Die in den letzten Jahren vermehrt vorgekommenen «Jahrhundertsommer», die Stürme und die langen Perioden der Trockenheit schlagen dem Wald auf die Gesundheit. Die Klimaerwärmung wurde schon seit längerer Zeit vorausgesehen, dass es nun schon drei «Ausnahmejahre» nacheinander gab, ist jedoch besonders. Schon nach dem Sturm Lothar und den darauffolgenden Käferjahren gingen die Waldbesitzer und der Forstdienst über die Bücher: Es müssen neue Baumarten angesiedelt werden, welche den veränderten klimatischen Bedingungen angepasst sind. Hier in der Region sind dies zum Beispiel die Douglasien, eine ursprünglich aus Nordamerika stammende Tannenart. In der Schweiz kommt der Baum, dessen Nadeln nach Zitrone riechen, noch selten vor – am häufigsten im Lohner Wald im Kanton Solothurn.

Zur Person
Aufgewachsen in Plaffeien, absolvierte Peter Piller auch seine Lehre als Forstwart dort. Nach mehreren Stellen in unterschiedlichen Betrieben («ich wollte in kurzer Zeit viel sehen») folgte die Försterschule in Lyss.

Bereits mit 23 Jahren wurde der Freiburger Revierförster in Rüschegg; anfänglich mit zwei Mitarbeitern. Wenig später wurde daraus der Forstkommunalbetrieb – das inzwischen zehnköpfige Team erledigt also nicht nur Arbeiten im Wald, sondern alles, was für die Gemeinde anfällt: Strassen- und Wanderwegeunterhalt, Abfallwesen, Schneeräumung und vieles mehr. Auch Brennholz sowie Holzschnitzel werden hergestellt und in der Region ausgeliefert. «Wir wollen diversifizieren», so Piller. Dadurch bleibt möglichst viel Wertschöpfung in der Gemeinde, das überdurchschnittlich vielseitige Team ist flexibel einsetzbar.

Peter Piller wohnt mit seiner Frau Deborah, die er in Rüschegg kennengelernt hat, und den drei Kindern in Plaffeien. Alle Kinder erhielten zur Geburt eine kleine Parzelle Wald geschenkt. Die Weisstannen zum Umbau ihres Hauses hat die Familie selber im Wald in Heitischwand ausgesucht. Vom Anzeichnen bis zur Aufrichte wurde das Haus fast ausschliesslich im Familien- und Freundeskreis gebaut. Seine führen den Alpbetrieb «Welsche Rippa» im Breccaschlund oberhalb des Schwarzsees. Jeden Sommer haben sie «Gusti» dort und sind jeweils im September auch beim Alpabzug in Plaffeien anzutreffen.

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