Der Land-Tierarzt

Der Land-Tierarzt

W ie in der Humanmedizin, so in der Veterinärmedizin. Die Ärzte auf dem Land sind Alleskönner und noch viel mehr. Die Nachfolge dieser grossen Fussstapfen ist nicht immer einfach zu regeln, wie ein Besuch bei Ursula & Fritz Ohnewein aus Rüeggisberg zeigt.

Die Katzen warten schon ungeduldig vor der Haustüre. Miauend bitten sie um Einlass, um der feuchten Herbstkälte zu entkommen und sich im altehrwürdigen Bauernhaus in Rüeggisberg einzukuscheln.

Tierarztromantik
Manch Tier hat in diesem Haus medizinische und seelische Pflege erhalten. 1993 begannen Fritz und Ursula Ohnewein mit ihrer Praxis auf dem Lande. Nach dem gemeinsamen Studium an der Universität Bern und zusätzlichen Erfahrungen, speziell in der Chirurgie an der königlichen Veterinärhochschule von Kopenhagen, waren die beiden Tierärzte gut gerüstet für einen Beruf, der alles abverlangt. «Damals war man 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag im Einsatz. Auf dem Land gab es in der Regel nur einzelne Praxen», erinnert sich der Tierdoktor. «Wir haben diese Tierarztromantik immer leben wollen, dieses Gefühl, wenn man mitten in der Nacht einen Stall verlässt, alles gut gegangen ist und man einem Tier helfen konnte», verdeutlicht seine Frau. Auf dem Bauernhof operierten und versorgten die beiden nicht nur die Tiere, sie gründeten auch eine Familie. «Angehende Tierärzte, die bei Ohneweins ihr Praktikum absolvierten, kamen oft nicht darum herum, ab und an auch Windeln zu wechseln», lacht der routinierte Veterinär.

Gemeinschaftspraxen
Die zwei haben sich aber auch früh Gedanken darüber gemacht, wie man diese immensen Präsenzzeiten auf mehreren Schultern verteilen könnte. Die Zusammenarbeit mit umliegenden Praxen gestaltete sich anfänglich noch schwierig und bedurfte einiges an Überzeugungsarbeit. Seit Ohneweins 2013 in Riggisberg eine Praxis eröffnet haben, machen sie sich konkrete Gedanken zum Kürzertreten. «Vielleicht sterben die Einzelkämpfer langsam aus», fügt er hinzu, während die Katzen in der Küche Platz nehmen und den Worten ihrer «Retter» lauschen. «Es ist eine gute Entwicklung hin zu geregelten Arbeitszeiten. In der Zukunft wird es wohl wie in der Humanmedizin vor allen Dingen Gemeinschaftspraxen geben», klingt Fritz Ohnewein verständnisvoll, dass dieser Teil der Romantik vorbei ist. So bauen Ohneweins ein junges Team an Tierärztinnen und -ärzten auf und treten zusehends in den Hintergrund. «Im Team zu arbeiten war schon immer unsere Philosophie», bringt es der Tierarzt auf den Punkt. Ihr Mann freut sich deshalb auf eine ganz neue Aufgabe und erklärt: «Ich als alter Grufti sehe meinen Auftrag als eine Art Backup. Mein Wissen und meine Erfahrung gebe ich weiter; ab und an auch alte Tricks, die man heute nicht mehr lernt. Ich muss mich aber nicht mehr profilieren und halte mich im Hintergrund.»

Abgrenzung
Die Worte sind kaum ausgesprochen, klingelt das Handy. «Ja, Ohnewein» antwortet er postwendend und erfährt, dass ein Pony eingeschläfert werden muss, die Besitzer jedoch darauf bestehen, dass er diesen emotionalen Moment einleitet und begleitet. Der Land-Tierarzt stellt sein Essen beiseite, schlüpft in die Jacke und verlässt das heimelige Ambiente der Küche. Man ist geneigt zu denken: Das mit dem Kürzertreten ist noch nicht ganz eingetreten.

Tierärzte gehören zur Risikogruppe für Burnout und Suizid. Mit diesen Präsenzzeiten überrascht die Statistik keineswegs. Sie selber haben nicht nur Kolleginnen und Kollegen verloren, Fritz Ohnewein litt selber schon einmal an einem Burnout und weiss, wie es sich anfühlt, wenn der Körper entscheidet, nicht mehr zu funktionieren.

Ein Grund mehr, langsam kürzer zu treten und dafür zu sorgen, dass zukünftig im Team gearbeitet werden kann. «Deshalb muss die Tierarztromantik ja nicht gleich enden, sie ist einfach besser verteilt», erklärt Ursula Ohnewein. Sie war erst die dritte Frau überhaupt, die im Tierspital in der Rinderklinik gearbeitet hatte. Sie lernte, sich durchzusetzen und mit guten Diagnosen und Entscheidungen zu überzeugen. Heute sind die Frauen in der Mehrheit in diesem Beruf. «Es ist kein Bürojob und je älter man wird, desto öfter spürt man ab und zu seinen Körper. Aber es gibt viele Tricks, wie man auch mit grossen Tieren gut zurechtkommt, ohne dass man mit viel Kraft dahinter muss», bricht sie eine Lanze für Frauen, die Gross­tiere behandeln.

Während Fritz sich zusehends auf Pferdezähne konzentriert und mit 60 Jahren in den USA noch eine entsprechende Ausbildung absolviert hat, widmet sich Ursula Ohnewein den älteren Geschöpfen. Die Zeit vor dem Sterben so angenehm wie möglich zu machen, darin sieht sie eine besonders wertvolle Aufgabe. Auch bei Menschen. Entsprechend möchte sie nach den vielen Jahren als Land-Tierärztin eine neue Herausforderung suchen.
Es ist spät geworden auf dem Bauernhof in Rüeggisberg, als man die Türe hört und Fritz Ohnewein heimkommt. Zeit, noch einen letzten Punkt anzusprechen, der den beiden schwer zu schaffen macht: «Wir haben noch erlebt, wie die Bauern alles für ihre Tiere in Not machen konnten. Heute ist das nicht mehr so, die Landwirte erhalten wenig Geld für ihre Produkte und müssen eng kalkulieren.» Es ist das Todesurteil für viele Tiere und steht der Tierarztromantik diametral gegenüber. So kommt der jungen Generation an teamfähigen Tierärzten noch eine neue Aufgabe zu: die Gesellschaft zu sensibilisieren, dass gute Produkte etwas kosten müssen, damit den Tieren die nötige Pflege und Fürsorge entgegengebracht werden kann. Die Katzen indes interessiert das herzlich wenig. Sie haben sich eingenistet und geniessen die Wärme dieses Hauses, die nicht nur von der Heizung herrührt.

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