Das Wunder im Horstbaum

Das Wunder im Horstbaum

Haben Sie schon einmal vom Wespenbussard gehört? Was exotisch klingt und tatsächlich aus den Tropen Afrikas kommt, brütet heimlich in unseren Wäldern.

Schwer beladen mit Rucksack, Kletterseil und allerlei Utensilien, deren Verwendung für mich ein Rätsel sind, eile ich Valentijn van Bergen hinterher durchs Unterholz. Ich begleite den Ornithologen der Vogelwarte Sempach bei der jährlichen Kontrolle eines Wespenbussardhorsts.

Weglos suchen wir einen ganz bestimmten Baum. Wobei «suchen» nicht ganz zutrifft, Valentijn kennt die Koordinaten. Mich wundert, dass DER BAUM ganz in der Nähe einer Brätlistelle ist. Das sei typisch, verrät Valentijn. Wespenbussarde bevorzugten Horststandorte in der Nähe von Störquellen, weil sie dort weniger mit anderen Greifvögeln kämpfen müssen. Sie haben keine Zeit für Revierkämpfe: Bei Ankunft Mitte Mai wird das Zuhause renoviert und begrünt. Es folgt die Balz und schon eine Woche später das erste Ei. Bereits ab Ende August brechen sie schon wieder zu ihrer 7000 Kilometer langen Wanderung ins Winterquartier auf, in die Regenwälder Afrikas.

Die Zeit der kurzen Balz ist der einzige Moment, wo sich die Gelegenheit bietet, herauszufinden, welcher Baum der auserwählte ist. Dazu gehen wir morgens auf einen Hügel, ausgerüstet mit einem Spektiv – und warten. Wespenbussarde fliegen fast nie, sie verstecken sich im Wald. Taucht dann plötzlich einer wie aus dem Nichts auf, versucht man die Stelle zu lokalisieren. Nur: Zurück im Wald ist es sehr schwer, den richtigen Baum wiederzufinden. Aber jetzt sind wir, wie gesagt, bei DEM BAUM, dem Baum mit dem Wespenbussardhorst.

Valentijn montiert seine Kletterausrüstung und im Nu ist er oben. Es ist eine Buche, die unter seinem Gewicht bedrohlich hin und her schaukelt. Mir wird schon vom Zuschauen schlecht. Meine Aufgabe: ein Foto des Wespenbussards, sollte er sich zeigen. Ich schaue nach oben und frage mich, wie ich mitten im Wald ein brauchbares Bild machen kann. Da! Für den Bruchteil einer Sekunde fliegt das Weibchen durch das kleine blaue Fenster im Kronendach. Und schon ist Valentijn wieder unten und zeigt mir ein Bild von zwei Küken, umgeben von Wespenwaben! Bei diesem Anblick bereue ich, nicht doch auch auf den Baum geklettert zu sein. Die Küken kommen mit der typisch gelben Wachshaut über dem Schnabel und den ovalen, fast geschlossenen Nasenlöchern zur Welt: Anpassungen an die Jagd nach Wespenlarven. Wenn sie älter sind, werden sie Nester von Wespen ausgraben, um an deren Brut zu gelangen. So helfen sie bei der Regulation der sich ausbreitenden asiatischen Hornisse, die unsere einheimischen Bienen bedroht. Auch beim Wespenbussard ist nicht alles in Ordnung, er ist «potenziell gefährdet» und die Wälder im Naturpark Gantrisch, insbesondere im Sensegebiet, sind wichtig für seinen Fortbestand. 7 bis 15 Brutpaare werden hier gezählt. Wir verlassen den Wald mit seinen Wundern, die kaum jemand kennt und erst recht kaum jemand sieht.

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