Advent, Advent, ein Tierlein pennt

Advent, Advent, ein Tierlein pennt

Stellen Sie sich vor, Sie würden die Hälfte Ihres Lebens schlicht und ergreifend verschlafen? Rund ein Dutzend Tiere aus dem Gantrischgebiet machen genau das. Sie halten Winterschlaf, Winterruhe oder Winterstarre. Umso ausgeschlafener erwachen sie dann wieder zu neuem Leben. Zumindest solange, wie wir Menschen ihnen ihre letzten Habitate nicht auch noch zerstören.

«Die sieht man nur noch ganz selten.» Ein Satz, den Martin Müller während eines Streifzugs durch das einheimische Tierreich und auf der Suche nach all jenen Geschöpfen, die sich im Winter schlafend zurückziehen, immer wieder benutzt. Der Schwarzenburger Naturexperte kennt fast alles, was in unseren Breitengraden kreucht und fleucht. Die letzten Schlangen in Mamishaus, die schon fast geheimen Orte der Haselmäuse oder die verbleibenden Biotope der Gelbbauchunke an der Sense. Nur wirklich sehen kann man diese Tiere in den kommenden Monaten nicht mehr. Eingebettet oder gar eingelocht harren sie der kalten Wochen, die da kommen.

Insektenschwund

Zumindest in der Theorie. Praktisch ist der Winterschlaf der Igel, Siebenschläfer, Haselmäuse, Baumschläfer, Gartenschläfer, der Amphibien, Fledermäuse oder des Hermelins oft ein einziger Kampf ums Überleben. Und das war nicht immer so. «Das Insektensterben ist in unseren Breitengraden besonders fortgeschritten», sagt Müller mit einer besorgten Miene. Sind die schlafsuchenden Tierchen also noch fett genug, um die kalte Jahreszeit zu überleben? Selbst wenn das der Fall ist, lauern weitere Gefahren: Beutegreifer wie etwa der Marder.

Dornenmangel

Diese Gattung verschläft nichts, sie sind auch in der dunklen Jahreszeit hellwach. Bislang gab es für die Schlafenden einen idealen Schutz gegen Iltis, Dachs oder Marder: Dornen. Die oberste Schicht eines Winterplatzes besteht aus Dornenzweigen und kann einem Beutegreifer den Angriff nahezu verunmöglichen. Auswahl gibt es in unserer Region eine Menge, «32 dornenartige Gewächse, um genau zu sein», ergänzt der Experte. Eigentlich müsste man aber die Vergangenheitsform wählen: «gab es». Denn Wildrosen und Co. werden entsorgt, vernichtet oder verdrängt. Müller richtet sich auf, nimmt eine Tafel mit Tieren darauf zur Hand und meint: «Dornen braucht das Land.» So omnipräsent Schwarzdorn und andere in der Vergangenheit waren, so selten sind sie heute noch anzutreffen. Für die Winterschlaf-Delegation heisst das, ein Nest bauen zu müssen ohne genügenden Schutz – eine Todesfalle.

Ruhesuchende

Müller mahnt nicht nur vor all diesen Problemen, er handelt. Das beginnt bereits vor seiner Haustüre. Sein Bauernhaus ist umgeben von Bäumen und dichtem Buschwerk. Das alles ist kein verwunschener Garten, sondern ein ausgeklügeltes System, um vielen bedrohten Tierarten oder Insekten ein ideales Habitat zu geben. Mit Erfolg. «Hier sind die Eidechsen und wenn die Sonne scheint, kommen sie auf dieser Trockensteinmauer zum Vorschein», verrät er bei einem Gang durch das Idyll. Wie auf Geheiss äugt just in diesem Moment eine dieser Echsen aus dem Versteck und sucht nach dem wärmenden Stein. Vielleicht das letzte Mal, bevor der Winter die Amphibien in die Winterstarre zwingt. Eine feste Sippschaft, die bei Müller die Untermiete geniesst, fehlt indes bereits: die Fledermäuse. «Sie gehen jeweils zwischen anfangs und Mitte November weg. Dorthin, wo es hohle Bäume, feuchte Keller, Höhlen oder leere Gebäude gibt», weiss der Flerdermausliebhaber. Nicht immer kehren gleich viele zurück, denn auch sie kämpfen mit Bedrohungen der heutigen Zivilisation: «Sie brauchen absolute Ruhe, stört man sie im Keller oder in einem Gebäude, werden sie unsicher, der Puls steigt an und sie haben das Gefühl, es geht wieder los.» 

Der Aufruf

Man hat das Gefühl, je mehr die Tiere schlafen, desto wacher wird Martin Müller. Immer wieder zeigt er auf Tiere in einem Buch, dann wieder nach draussen, dann wieder auf Projekte, mit denen er die mitunter anspruchsvollen Bauten für den Winterschlaf gewisser Tiere gebaut hat: für das Hermelin, kombiniert mit dem Igel zum Beispiel oder die umgekehrten Löcher in den Vogelhäuschen, damit die Haselmaus reinklettern kann. Dieser Mann hält keine theoretischen Abhandlungen über den Notstand in der hiesigen Tierwelt, er packt an, wo und wann immer er kann. «Das Hauptproblem sind oft diese Gärten, die mit Rasen oder Steinwüste alles daransetzen, dass kaum noch Tiere darin Platz finden», ärgert er sich. Gäbe es einen freien Weihnachtswunsch für Müller, es würde niemanden überraschen, wenn er sich konsequent naturnahe Gärten wünschen würde. Mit ein wenig Kompost und genügend Stauden, dass sich die süssen kleinen Winterschläfer einmummeln können.

Doch das ist ein frommer Wunsch. Sogar kurz vor Weihnachten. Weil die meisten Tiere eben keinen Winterschlaf machen, ist die Not derselben noch gar nicht so präsent. Erst dann vielleicht, wenn selbst der Igel – wie der Hamster oder der Baumschläfer unlängst in unseren Breitengraden – gänzlich ausgestorben ist. Eigentlich müsste man in diesen Tagen singen: «Advent, Advent, die Artenvielfalt brennt.» Martin Müller denkt aber nicht ans Aufgeben. Naturnahe Gärten, Ruhezonen und Biodiversität in den Hecken, im Wald und auf der Wiese, dafür kämpft er. Je mehr Unterstützung er erhält, desto eher könnte man vielleicht eines Tages wieder singen: «Advent, Advent, ein Tierlein pennt.»

Dieser Text ist am Zukunftstag entstanden. In Zusammenarbeit mit Riina Röthlisberger.
Vielen Dank für den spannenden Austausch.

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Advent, Advent, ein Tierlein pennt

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