In den ersten 14 Spielen der laufenden Saison musste sie bereits 37-mal hinter sich greifen und den Ball aus dem Netz fischen, mehr als all ihre anderen Liga-Kolleginnen. Mit nur zwei Punkten steht ihr Team abgeschlagen auf dem letzten Platz. Doch Daria Willimann gehört zu den besten Torhüterinnen der Schweiz – die 21-Jährige spielt bereits ihre dritte Saison in der höchsten Liga, der Axa Women’s Super League AWSL.
«Gibt es viele Schüsse, kann ich mein Können eher zeigen»
Angefangen hat alles beim FC Schwarzenburg, die junge Daria war während ihren ersten Juniorenjahren meist das einzige Mädchen im Team. Ab der U14 war sie im YB-Förderprogramm und in der Saison 2022/23 auch mit der 1. Mannschaft der YB Frauen auf dem Platz. Dann wechselte sie im Sommer 2023 zuerst leihweise zum Frauenteam Thun Berner-Oberland FTTBO, seit der aktuellen Saison ist sie fest im Kader dabei und bildet zusammen mit Janine Teuscher das Torhüter-Duo. Der Tatsache, dass die Thunerinnen nach wie vor gegen den Grossteil der AWSL-Clubs chancenlos sind, kann Willimann durchaus auch Positives abgewinnen: «Als Goalie kann ich mich so eher zeigen als in einem Team, in dem ich nicht viel zu tun habe.» Das FTTBO ist unter den zehn Clubs der höchsten Liga einer mit dem kleinsten Budget. Dies zeigt sich etwa an der Infrastruktur, am eher kleinen Staff oder an den spätabendlichen Trainingszeiten. Aber auch daran, dass der Club seinen Spielerinnen noch keinen Lohn zahlen kann. Dies im krassen Gegensatz zu den Vereinen am anderen Ende der Rangliste, wie dem Servette FC Chênois Féminin oder dem FC Basel 1893, deren Spielerinnen bereits ganz oder zu einem guten Teil vom Fussball leben können. Der Oberländer Club kompensiert die geringeren professionellen Strukturen mit viel Leidenschaft und Engagement: So wurde zum Beispiel diesen Winter ein Trainingslager dank eines Crowdfundings möglich gemacht.
Nächstes Ziel: Ligaerhalt
Seit diesem Jahr gehört das FTTBO (wieder) zur FC Thun AG; die letzten Jahre waren die Thun-Frauen dem FC Rot-Schwarz Thun angeschlossen, dessen Herrenteams in der 4. Liga angesiedelt sind. Ab dem Saisonstart 2025/26 spielen die Frauen ganz unter dem Dach des FC Thun – voraussichtlich wird auch der Name des Frauenteams entsprechend angepasst. Für Willimann birgt der neue Anschluss Potenzial für professionellere Strukturen. Aktuell wichtiger sind jedoch die nächsten Spiele: «Rein rechnerisch könnten wir die Playoff-Qualifikation noch schaffen, aber realistisch gesehen müssen wir uns wieder mit der Abstiegsrunde befassen.» Nach Erscheinen dieser Ausgabe sind noch drei reguläre Partien zu bestreiten, danach wartet voraussichtlich die Barrage mit dem aktuell Neuntplatzierten FC Rapperswil-Jona und den zwei Erstplatzierten der Nationalliga B. Der Ligaerhalt ist höchstes Ziel, mit dem Wechsel zum FC Thun sowieso.
«Es braucht mich»
«Ich möchte unbedingt in der Super League bleiben können, denn in der NLB fällt das Niveau schnell ab», sagt die Schwarzenburgerin. Lieber spielt sie in den unteren Tabellenrängen, als bei einem stärkeren Club als Nr. 2 oder 3 auf der Bank zu sitzen. Dies ist auch der Grund, warum die ehemalige U16-, U17- und U19-Nationaltorhüterin zu Thun wechselte. Nachdem sie mit den U19-YB Frauen zuerst Vize- und dann Schweizermeisterin wurde und den Sprung in die 1. Mannschaft schaffte, war sie häufig als Ersatzgoalie dabei. Eine Oberschenkelverletzung mit Operation und anschliessender Reha warf sie zusätzlich zurück. Nun ist sie in Thun angekommen und zu einer wichtigen Teamstütze geworden. «Vorher war ich eher scheu und zurückhaltend, doch hier merkte ich: es braucht mich.» Sie habe durch die viele Spielzeit ihre Persönlichkeit weiterentwickeln und zu einer Leaderin werden können. Von ihrer Position aus hat Willimann einen guten Überblick und gibt deshalb immer wieder lauthals Anweisungen oder feuert die Feldspielerinnen an. Unter Cheftrainer Charly Grütter bzw. seit dem 20. Februar unter Roland Getzmann und Goalietrainer Marcel Haucke absolviert sie wöchentlich vier Abendtrainings, dazu je eine Morgen- und eine Kraftraumeinheit.
Durch die Luft fliegen und den Unterschied machen
Häufig finden Mädchen durch ältere Brüder oder durch Freundinnen zum Fussball. Nicht aber Daria Willimann: Sie verspürte, ganz ohne solche Faktoren, schon als junges Mädchen den Wunsch, Fussball zu spielen. Der Gedanke, dass sie dies dereinst auch als Profi tun könnte, kam erst auf, als sie schon längst von YB entdeckt und ins Förderprogramm aufgenommen worden war. Und warum ist sie Goalie geworden? «Das war eine spontane Idee während der E-Junioren-Zeit», sagt sie mit einem Schulterzucken. So ganz weiss sie es nicht mehr. Umso mehr geraten ihre Augen ins Leuchten, wenn sie ihre Tätigkeit beschreibt: «Ich kann einen bedeutenden Unterschied machen.» Spiele eine Feldspielerin schlechter oder besser, falle dies weniger auf als bei der Schlussfrau. «Das Gefühl, wenn ich durch die Luft fliegen und einen Ball in der Ecke abfangen kann, ist einmalig.» Natürlich landen auch viele Schüsse im Netz. Aber in der Tendenz sei es so, dass es nebst vielen Toren noch mehr erfolgreiche Paraden gebe.
Fernziel: vom Fussball leben
Dass Willimann ambitioniert ist, steht ausser Frage. Sie beweist ihre Zielstrebigkeit auch abseits des Rasenplatzes: Neben dem Spitzensport absolvierte sie zuerst die Lehre zur Schreinerin EFZ, inzwischen ist sie sogar schon mitten in der Zweitlehre zur Zeichnerin EFZ mit Fokus Innenarchitektur. Im Sommer 2026 möchte sie diese abschliessen. Als nächstes Ziel steht vorerst der Ligaerhalt mit Thun an. Mittelfristig strebt sie den Sprung in den Profifussball an. Wohin es sie letztlich zieht, ist noch offen. Klar ist aber: Sie wird weiter durch die Luft fliegen und Bälle abfangen – in der Schweiz, in einem Nachbarland, in einer skandinavischen Liga oder unter Spaniens Sonne – und dabei einen Unterschied ausmachen.