Wohnt er in Lappland, am Nordpol, im Schwarzwald oder kommt er aus der heutigen Türkei? Ist er nur der St. Nikolaus oder Samichlaus – oder auch der Weihnachtsmann? Bringt er die Weihnachtsgeschenke oder Mandarinen und Nüssli? Und wenn er anreist – per Rentierschlitten, als Fassadenkletterer, durch den Kamin fallend, oder befüllt er die Stiefel vor der Tür? In der Vorweihnachtzeit ist der weissbärtige Mann mit dem roten Mantel omnipräsent. In den USA tourt er per Truck oder Weihnachtszug durch die Staaten. In Einkaufszentren können Kinder auf seinem Schoss für ein Foto posieren. Und am 6. Dezember erwarten unzählige Kinder nervös seine Ankunft, um ihm voller Stolz oder Ehrfurcht ein Versli vorzutragen.
Heiliger aus der Türkei
In jeder Weltgegend, in jeder Kultur erscheint er ein bisschen anders. Den ursprünglichen Heiligen Nikolaus gab es aber tatsächlich. Um das Jahr 300 lebte und wirkte er in Myra, dem heutigen Küstenort Demre im Südwesten der Türkei. Schon als junger Mann und später als Bischof soll er zahlreichen Menschen geholfen haben, insbesondere Kindern. Gar mehrere Tote sollen durch sein Eingreifen wieder lebendig geworden sein, besagen die Legenden. Sein Todestag, der 6. Dezember, wird auch heute noch weit verbreitet gefeiert, vor allem natürlich in christlich geprägten Kulturen.
Sechs Belper Chläuse
Es ist denn auch die Katholische Kirche, die vielerorts die Tradition des Nikolausbesuchs pflegt. Der «Belper Samichlaus» etwa ist zwar inzwischen eine eigene Organisation, die aber immer noch «unter den Fittichen» der Kirche steht. «Der Samichlaus ist aber nicht katholisch», sagt Rainer Notter, schliesslich habe es im
4. Jahrhundert noch gar keine reformierte und katholische Kirche gegeben, sondern schlicht «die Kirche». Rainer und Angelika Notter hatten 14 Jahre lang die Leitung des Projektes inne. Dieses Jahr koordinieren sie die Hausbesuche ein letztes Mal. Fünf bis sechs Chläuse, gleich viele Schmutzlis und rund ein Dutzend Diener oder Dienerinnen besuchen jeden Dezember weit über hundert Kinder und ihre Familien im Pfarreikreis Belp, zu dem u.a. auch Toffen, Riggisberg oder Gerzensee gehören. «Für einen Besuch anmelden dürfen sich alle, unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer Kirchenzugehörigkeit», betonen Notters. Das Belper Ehepaar verbrachte jährlich unzählige Stunden damit, die Helfenden zu organisieren, die Anmeldungen zu erfassen und die Routen zusammenzustellen – alles ehrenamtlich.
Kein Coca Cola-Chlaus
Die Belper Chläuse sind nicht als «Coca Cola-Chlaus» unterwegs, wie Notter es nennt, sondern als Bischöfe mit Umhang und Mitra – der typischen hohen Kopfbedeckung. Der begleitende Schmutzli, der in manchen Auslegungen eine einschüchternde, strafende Funktion ausübt, basiert hier auf der Geschichte des Köhlers – daher das schwarz angemalte Gesicht – der dem Nikolaus die verlorenen Geschenke einsammelt und daraufhin zu seinem Helfer wird.
Von Notters mit einem Imbiss verpflegt und mit einer Liste ausgestattet, besucht jede Gruppe etwa fünf Familien; sie sind sowohl am 5. wie auch am 6. Dezember unterwegs. Dank dem bei der Anmeldung ausgefüllten Formular ist der Samichlaus über die Hobbies und Lieblingsmahlzeiten, über die Höhepunkte und die Schwierigkeiten jedes Kindes im Bild. Die Eltern legen ihm vorgängig die Geschenke bereit, die er oder der Schmutzli bei ihrem Besuch verteilen. Dazu bekommt jedes Kind einen von der Bäckerei Pesse gespendeten Lebkuchen. Nebst den Familienbesuchen sind die Teams auch in Altersheimen der Region oder am traditionellen Belpmärit zu Gast.
Nach der Tour ist es für Notters noch längst nicht vorbei. Alle Helfenden, etwa 60 sind es, werden von einem Küchenteam bekocht. Man isst an beiden Abenden gemeinsam, Angelika Notter verteilt an alle ein von ihr zusammengestelltes Dankeschön-Säckli. Dessen Inhalt organisiert sie das Jahr hindurch, fragt Grossverteiler oder lokale Geschäfte an. Die Tage nach den Einsätzen verbringt sie mit dem Waschen, Trocknen und säuberlichen Versorgen der Chlaus-, Schmutzli- oder Dienerbekleidung. Die Bärte aus Büffelhaar pflegt eine – ebenfalls ehrenamtlich engagierte – Coiffeuse. Rund 600 Freiwilligenstunden investieren Notters, die Chläuse und alle weiteren Involvierten jedes Jahr, hauptsächlich aber die beiden Koordinierenden. Nun hören sie altershalber auf; Rainer Notter ist kürzlich 82 geworden. Sein Wunsch: «Nächstes Jahr möchte ich einmal erleben, wie es bei den Familien ist, und bei einem Hausbesuch dabeisein. Vielleicht als Schmutzli?»
Auch die Samichläuse, Schmutzlis und Diener spüren den Fachkräftemangel. «Es ist schwieriger geworden, Freiwillige zu finden», wissen Notters. Umso mehr freuen sie sich, für die Organisationsarbeit einen Nachfolger gefunden zu haben. Sodass auch weiterhin zahlreiche Kinder in und um Belp Versli auswendig lernen und dem Besuch des Chlaus-Teams entgegenfiebern können.