«Es soll für uns beide stimmen»

«Es soll für uns beide stimmen»

In der Gewaltfreien Kommunikation sollen alle Gewinner sein: Wenn Bedürfnisse erkannt und auf den Tisch gelegt werden können, wird manch pikante Situation entschärft.

«Kommunikation hat mich schon immer interessiert.» Andrea Spring schaut zurück auf ihr Studium der Logopädie, das den Grundstein ihrer «Karriere als Kommunikationsfachfrau» legte. Im Zentrum stand für sie die Frage: «Wie können alle Menschen ihre Bedürfnisse ausdrücken und verstanden werden, anstatt dass es ein ‹entweder du oder ich› gibt?» Die Antwort fand sie in einem Kurs für Gewaltfreie Kommunikation.

«Ich lernte, meine Bedürfnisse ausdrücken zu können und gleichzeitig meinem Gegenüber Raum zu geben – was für eine Erleichterung!» Die Machtkämpfe mit ihrer Tochter – «Wenn du nicht tust, was ich will, dann…» – wurden immer weniger, und heute kommt es vor, dass die Neunjährige bei Meinungsverschiedenheiten plötzlich sagt: «Ich möchte eine Lösung, die uns beiden passt.»

Verständnis statt Strafe
Der Anfang besteht immer darin, in eine Verbindung mit sich selbst zu kommen. Was brauche ich jetzt? Warum fühle ich mich so? «Das Prinzip ist simpel, die Umsetzung aber nicht so einfach», gibt Andrea Spring zu. «Es ist vergleichbar mit dem Lernen einer Sprache.» Allerdings sei es nicht nur ein Reden, sondern auch ein neues Denken, eine andere Haltung, die dahinter stehen. Unsere Gesellschaft beruhe auf Bestrafung und Belohnung. Bei der Gewaltfreien Kommunikation hingegen geht es um Verständnis und Wertschätzung füreinander, egal, wie verschieden man denkt. «Das bedingt am Anfang viel Zeit, aber es ist eine langfristige Investition in eine Beziehung mit jemandem», so Spring.

Keine Vier-Schritt-Methode
Die 40-Jährige gibt Kurse in Gewaltfreier Kommunikation, leitet Übungsgruppen oder führt Einzel- und Gruppencoachings durch. «Es ist nicht eine Methode mit vier Schritten und dann macht der andere, was ich will», stellt Andrea Spring klar. Während es in Diskussionen normal ist, mit den eigenen Argumenten diejenigen des Gegenübers möglichst vom Tisch zu wischen, verfolgt die Gewaltfreie Kommunikation eine andere Strategie: «Ich halte gleichzeitig meine und deine Anliegen in der Hand und ich höre zu.»

Man sucht nicht den Fehler bei den andern und fällt keine Urteile, wie sich die Leute verhalten sollten. Wenn einen etwas stört, kann man sich fragen: «Was bräuchte ich denn?» Dieselbe Frage kann man auch Mitmenschen stellen, die sich aufregen.

«Giraffensprache» statt Totschlag
In der sogenannten «Wolfssprache», die die meisten von uns perfekt beherrschen, gibt es meist Gewinner und Verlierer: «Du machst mich wütend…», «Wegen dir kann ich nicht…» oder «Man müsste dieses oder jenes tun.» Der «Wolf» analysiert, wer ein Idiot ist und wer schlau. Und er versucht, stärker zu sein als der andere.

Die «Giraffensprache» hingegen, wie sich die Gewaltfreie Kommunikation selbst nennt, setzt auf Respekt, Achtsamkeit und Freiheit. Dabei heisst Gewaltfreie Kommunikation nicht, einfach nett zu sein und die andern gewähren zu lassen. Andrea Spring betont: «Sie ist kein Weichspüler.» Sondern: Mich so ausdrücken, dass ich für meine Gefühle und Bedürfnisse einstehen kann – und gleichzeitig den andern sehe.

Spring erzählt vom Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, der die «Giraffensprache» in einem Gefängnis unterrichtete. Gegen Ende rief ein Häftling aus: «Wenn ich damals verstanden hätte, was ich jetzt verstehe, hätte ich meinen Freund nicht umbringen müssen!»

Lösungen suchen ist möglich
Ganz so drastisch waren die Geschichten in den Coachings und Kursen von Andrea Spring bis jetzt noch nicht. Aber die Rückmeldungen zeugen von der Kraft der neuen Art von Kommunikation: Anstatt wie vorgehabt ihre Stelle zu kündigen, lernt eine Teilnehmerin, ihre Bedürfnisse mutig und respektvoll zu kommunizieren. Das ganze Büroklima verändert sich positiv. Paare erleben weniger Streit und eine stärkere Verbundenheit. Die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern entspannt sich.

«Mein Wunsch ist, dass ich die Schönheit der Gewaltfreien Kommunikation teilen kann», sagt Andrea Spring. Dass Menschen für das, was ihnen wichtig ist, einstehen können. Und gleichzeitig Raum haben für das, was dem andern möglich ist. Mit leuchtenden Augen schwärmt sie: «Wir können zusammen Lösungen suchen, die für beide passen – es ist möglich!»

INFO
www.empathie-quelle.ch

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