Herr Cajochen, Sie beschäftigen sich mit den Auswirkungen von Licht auf unsere Gesundheit. Können Sie Ihre Forschung näher erläutern?
In den 1980er Jahren hat man angefangen, die Wirkung des Lichts auf den Menschen wissenschaftlich zu untersuchen. Diesen Forschungszweig nennt man Chronobiologie, also die Biologie der Zeit. Wir brauchen das Licht, damit wir sehen, aber es hat auch grosse Auswirkungen auf die Gesundheit. Licht bestimmt, wann wir ins Bett gehen und wann wir aufstehen. Licht wirkt nicht nur auf den Schlaf, sondern auch auf die Hirnleistung, die physische Leistung und auf das Gemüt. Die Kehrseite ist: Wenn man zu viel Licht ausgesetzt ist, ist das auch nicht gut für die Gesundheit. Diesen Wechselwirkungen gehe ich in meiner Forschung nach.
Es ist also gar nicht so, dass wir als Erwachsene selbst über unseren Schlaf-Wach-Rhythmus bestimmen?
Nein. Man meint immer, man geht willentlich schlafen und wacht willentlich auf, aber das würde auch geschehen, wenn man keinen Wecker hätte. Man kann diese Uhr nicht umpolen.
Ich habe aber zwei Kinder, die «ticken» ganz unterschiedlich. Einer ist immer schon um 20 Uhr sehr müde, und der andere schläft erst spät ein und kommt morgens kaum aus dem Bett.
Wahrscheinlich hat dies chronobiologische Aspekte. Die innere Uhr tickt nicht bei beiden Menschen gleich. Einer tickt ein bisschen langsamer, sein Tag dauert vielleicht 24,5 Stunden, darum ist er später müde. Die Uhr des anderen läuft ein bisschen schneller, darum ist er früher müde.
Wie gut steht es um unseren Schlaf? Hat unsere Schlafdauer tatsächlich abgenommen?
Wir schlafen tatsächlich weniger als noch vor 30 bis 40 Jahren, aber seit ein paar Jahren hat sich der Trend nicht weiter fortgesetzt. Es gibt allerdings immer mehr Leute, die sich über Schlafstörungen beklagen. Dies hat vor allem damit zu tun, dass die Gesellschaft älter wird, im Alter verändert sich der Schlaf. Hinzu kommt unsere ständige Erreichbarkeit. Zudem machen sich die Leute vermehrt Sorgen um ihren Schlaf. Es gibt Leute, die messen ihre Schlafdauer mit ihrer Fitnessuhr und sind dann alarmiert, wenn der Balken auf dem Display nicht hoch genug ist.
Nach einer schlechten Nacht ist man weniger leistungsfähig, reizbar, hat Kopfschmerzen. Was passiert da genau?
Schlaf ist wie ein Reinigungsprogramm. Wenn wir zu wenig schlafen, ist es so, wie wenn wir den Geschirrspüler zu früh abstellen: Das Geschirr ist nicht sauber. Übertragen auf den Menschen hat sich das Immunsystem nicht erholt, wir sind anfälliger, Verdauungsstörungen kommen hinzu, die Psyche ist auch nicht erholt und wir sind reizbarer.
Langfristig hat zu wenig Schlaf durchaus schädliche Auswirkungen: Flugbegleiterinnen haben z.B. ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs. Der statistische Zusammenhang ist nachgewiesen, die WHO stuft mittlerweile Schichtarbeit als potenziell krebserregend ein.
Sie werden Gast sein am jährlichen Gantrisch-Forum, einem Netzwerkanlass für die regionalen Wirtschaftsvertreter. Kann eigentlich auch ein Arbeitgeber etwas für den guten Schlaf seiner Mitarbeitenden tun?
Schlafen die Mitarbeitenden gut, haben alle etwas davon: der Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und auch die Krankenkassen. Etliche Firmen engagieren sich mittlerweile in der Gesundheitsprävention. Auch Schlaf kann hier einbezogen werden. Unser Forschungsinstitut gibt mittlerweile auch Kurse zum Thema Schlaf für Firmen.
Und zum Schluss: Grundsätzlich ist die Frage «Wie schläfst du?» oft viel aussagekräftiger als «wie geht es dir?».
Herr Cajochen, vielen Dank für dieses spannende Gespräch. Wir freuen uns bereits jetzt auf Ihren Vortrag am 23. Oktober in Schwarzenburg am Gantrisch Forum!