Mut zur Dunkelheit oder was ein «Dark Sky Park» mit Lebensqualität zu tun hat

Mut zur Dunkelheit oder was ein «Dark Sky Park» mit Lebensqualität zu tun hat

Wenn abends Stille einkehrt und man sich noch eine ruhige Minute auf dem Balkon gönnt, man die kühle Nachtluft einsaugt und den Tag gedanklich passieren lässt, schweift nicht selten der Blick zum Firmament. Funkelnde Sterne zwinkern uns zu. Immer mal wieder helfen sie uns bei alltäglichen Entscheidungen. Aber plötzlich blendet die blinkende Leuchtreklame der Firma in der Nachbarschaft - und funkt mitten in unseren Dialog mit der Unendlichkeit?

«Papa, wenn wir Angst im Dunkeln haben, haben dann Fledermäuse eigentlich Angst im Hellen?» Die Frage beim Zubettgehen, welche die Riggisberger Kinder nach der Nachtexkursion mit dem Naturpark beschäftigt, kann der Vater nicht beantworten. Als die Kinder schlafen und er auf den Balkon seiner Mietwohnung tritt, um noch einen Blick ins nächtliche Dorfviertel zu werfen, gehen auch ihm viele Fragen durch den Kopf. «Die Fledermäuse, die um die Strassenlampen kreisen, müssen diese Zwergfledermäuse sein, von denen die Exkursionsleiterin sprach. Von denen es so viele gibt, weil sie keine Scheu vor Licht haben. Nicht wie die anderen 25 der 30 Arten, die Licht eben nicht mögen», besinnt er sich. Und Motten, nein, Motten sieht er keine, auch Mücken tanzen keine. Nicht, dass er sie vermissen würde – aber insgesamt sieht die Nacht recht ausgestorben aus. Jede Strasse ist doch recht hell erleuchtet, Menschen jedoch sind keine mehr unterwegs. Auch das Fenster, hinter dem seine Kinder schlafen, ist hell erleuchtet von der gegenüberliegenden Leuchtreklame. Sein Blick hebt sich zum Nachthimmel, den Grossen Wagen suchend. Mit einem Lächeln denkt er an das Staunen der Kinder, als sie heute Abend im «Dark Sky Park» zum ersten Mal die Milchstrasse gesehen haben. Auch er selbst hatte sie noch nie gesehen.

Führungen in der dunklen Zone des Naturparks Gantrisch, der «Gantrisch Dark Sky Zone» (siehe Box), gibt es schon einige Jahre. Sie sind eines von drei Elementen, die es möglich machen, dass ein Gebiet «Dark Sky Park» werden kann. Natürlich muss der Beweis erbracht werden, dass man in diesem Gebiet noch eine nahezu natürliche Nachtdunkelheit mit Tausenden von Sternen am Himmel erleben kann. Das wurde mit vielen Messungen bestätigt. In der Schweiz ist der letzte natürlich dunkle Quadratkilometer bereits 2008 verschwunden. Jedes Jahr nimmt die Lichtverschmutzung über 6 % zu. Der Lebensraum von nachtaktiven Tieren wird durch Lichtbarrieren zerschnitten, ihr Aktionsradius eingeschränkt und das Nahrungsangebot reduziert. Menschen werden zunehmend in ihrem Wohlbefinden gestört, was bis zu Klagen vor dem Bundesgericht führte.

Auf den Nachtführungen wird jedoch nicht mit dem Finger auf die Verursacher gezeigt. Es wird die Liebe zur Nacht gefördert. Das Erleben der Nacht mit allen Sinnen motiviert die Teilnehmenden, in ihrem Umfeld zu Advokatinnen und Botschaftern der Nacht zu werden: Bevor das Problem der Lichtverschmutzung behoben werden kann, muss es gesehen werden. Da nachts die meisten von uns schlafen, ist der enorme Wert der Dunkelkammern vielen Menschen nicht bewusst. Dass die Hälfte der Blütenbestäuber nachts unterwegs ist, Tümpel und Seen nachts durch Mikroorganismen gereinigt werden, Mäuse und Ratten von nächtlichen Räubern in Zaum gehalten werden und in der Nacht Abertausende von Zugvögeln unterwegs sind, weiss man schlicht nicht, erfährt man es nicht zum Beispiel auf einer Nachtexkursion. Das nächtliche Kunstlicht trägt einen nicht unwesentlichen Teil zum Insektensterben bei. Immer mehr Forschende nehmen sich dem Thema an – man darf also in Zukunft noch mehr gesichertes Wissen erwarten. Handeln darf man aber durchaus schon heute.

Dabei ist der nächtliche Aussenraum betreffend Beleuchtung kein so rechts- und normfreier Raum, wie man annehmen könnte. Die Gemeinde hat mit ihrem Bau- oder Polizeireglement die Hoheit darüber. Mittlerweile gibt es Einschränkungen für Reklamebeleuchtungen, Weihnachts- und andere Zierbeleuchtungen, gewerbliche Infodisplays und so weiter. Schon seit 2013 gibt es die SIA-Norm 491, welche den haushälterischen Umgang mit Licht regelt. Die Norm sagt: Nur beleuchten, wo und wann es wirklich nötig ist. In einer Intensität, die dem Nutzungszweck gerade genügt, sprich: suffizient. Auf unnötige Erhellung der Umgebung ist zu verzichten, welche zum Beispiel durch Kugellampen, nach oben gerichtete Fassadenbeleuchtungen, Licht-Inszenierungen oder gar grosse Fensteröffnungen entstehen. Es sind die gleichen Prinzipien, die auch 2023 in der Vollzugshilfe Lichtemissionen des Bundesamts für Umwelt Eingang fanden. Sie helfen Gemeinden, das Umweltschutzgesetz richtig zu interpretieren.

Nicht selten beschweren sich Anwohnerinnen und Anwohner über die Erhellung des Wohnraums, verursacht durch öffentliche Beleuchtung, Sportplätze, Bahnhöfe oder durch nachbarliche Lichter. Wo möglich, müssen die Emissionen vom Verursacher gemindert werden. So steht es im Gesetz. Nächtliches Licht wirkt auf unseren Biorhythmus und kann unter anderem Schlafstörungen, Wachstumsstörungen oder Krebserkrankungen verursachen. Das oft genannte Argument, dass in der Dunkelheit mehr Delikte passieren, konnte wissenschaftlich nie bestätigt werden. Es bleibt nur die subjektive Empfindung, dass Licht Sicherheit vermittelt. Wer sich allerdings die nächtliche Dunkelheit gewohnt ist – so wie es in vielen Naturparkgemeinden noch der Fall ist – weiss sich zu arrangieren und den sanften Mantel des Sternenlichts zu geniessen. In städtischen Zentren haben Bewohnende oft keine Chance auf Sternenlicht. Das Kunstlichtniveau ist so hoch, dass sich kein einzelner Verursacher finden lässt. Hier hilft nur ein städtisches Konzept, ein sogenannter Plan Lumière, welcher besonders sensiblen Wohn- und Naturzonen ein gesundes Mass an Nacht zugesteht.

Einen Plan für die Beleuchtung gibt es auch in der «Gantrisch Dark Sky Zone», der dunklen Zone im Naturpark Gantrisch. Er lautet: kein Licht. Die dunkle Landschaft soll erhalten werden – für den Reichtum an Lebewesen und Lebensräumen. Hier leben gut 20 der 30 Schweizer Fledermausarten, dämmerungsaktive Birkhühner und nachtduftende Holundersträucher. Der Gurnigelpass ist ein wichtiger und lichtloser Flaschenhals für den Vogelzug. Zugvögel werden durch starke Lichtquellen in ihrer Orientierung empfindlich gestört. Für Menschen soll der «Dark Sky Park» ein nachhaltiger Erlebnisort sein. Für die Menschen, die wieder einmal mit den Augen in den Sternen baden möchten.

Der Vater von den beiden Kindern im Dorf geht nun schlafen. Er will am nächsten Morgen bei der Firma gegenüber vorbeigehen. Über den Gedanken, was er dem Chef der Firma sagen könnte, schläft er ein. Es wird gut gehen. Die Firma mag nämlich Fledermäuse.

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Das Label «Dark Sky Park»

Das Label/Zertifikat «Dark Sky Park» wird von DarkSky International im Rahmen des Programms «International Dark Sky Places (IDSP)» vergeben. Das Programm zertifiziert Gemeinden, Parks und Schutzgebiete auf der ganzen Welt, die dunkle Orte durch verantwortungsvolle Beleuchtungsrichtlinien und öffentliche Aufklärung bewahren und schützen.

www.darksky.org

Der Förderverein Region Gantrisch (FRG) ist seit kurzem Träger des Labels «Dark Sky Park». Zertifiziert wurde der Naturpark Gantrisch für seine 104,7 km2   grosse, überdurchschnittlich dunkle Zone («Gantrisch Dark Sky Zone») im südlichen Teil des Parks. Im restlichen Parkgebiet ist es nachts jedoch auch sehr dunkel, weshalb sich hier die Sterne wunderbar beobachten lassen.

www.gantrisch.ch/nacht

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Mut zur Dunkelheit oder was ein «Dark Sky Park» mit Lebensqualität zu tun hat

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