Bananen wachsen noch keine in Plaffeien, Wanderer durchqueren im Gürbetal keine Reisfelder, auch Rüschegger Kaffeebohnen sind nur ein Gedankenkonstrukt. Hingegen sind unter den gegen vier Tonnen importierten Lebensmitteln pro Jahr viele aus Pflanzen, die hier gedeihen würden. Manch ein Brot aus dem Supermarkt ist mit ausländischem Weizen gebacken. Der Blick auf die Statistik zeigt: Der sogenannte kalorienbasierte Nettoselbstversorgungsgrad in der Schweiz liegt – über alle Lebensmittelgruppen hinweg – nur bei rund 50 Prozent.
Hälfte des Ackerlandes für Tierfutter
Die Energie, die uns täglich Antrieb gibt: Sie wächst nur rund zur Hälfte auf unseren Böden. Eine Erklärung dafür ist bekannt – die Schweiz gilt als Grasland. Gut 77 Prozent des landwirtschaftlich bewirtschafteten Landes gibt nur Gras, Klee, Kräuter oder andere Wildpflanzen her. Die restlichen 23 Prozent sind hauptsächlich Ackerland. Doch wächst auf diesem wertvollen Boden das, was wir für unseren Energie- und Nährstoffbedarf brauchen? Die Antwort ist ernüchternd: 50 bis 60 Prozent des fruchtbaren Bodens dienen dem Anbau von Tierfutter für die rund 15 Millionen sogenannten Nutztiere. Die unzähligen Futtermaisfelder sind nur ein Beispiel.
Schweizer Fleisch mit Auslandanteil
Während die Verwertung von Gras durch Wiederkäuer logisch erscheint, lässt vor allem die Energieproduktion in Form von Kraftfutter aufhorchen: Selbst die Menge davon, die auf hiesigen Äckern wächst, reicht niemals aus. Über die Hälfte des Kraftfutters muss im Ausland gekauft werden. Damit Milchkühe viel mehr Milch geben, als ihr Kalb natürlicherweise an Muttermilch trinken würde, braucht es energie- und proteinreichere Nahrung als Gras, etwa Ölkuchen. Vor allem aber sind Schweine und Geflügel auf solche zusätzliche Energie angewiesen, damit sie schnell genug – also wirtschaftlich – das gewünschte Schlachtgewicht erreichen. Ist «Schweizer Fleisch» demnach gar nicht so schweizerisch, wie es scheint? Greenpeace weist darauf hin, dass 2020 stolze 39 Millionen Franken in die Bewerbung von tierischen Produkten floss – jedoch nur 8 Millionen Franken zur Förderung pflanzlicher Nahrungsmittel.
Es geht auch anders: Polenta und Linsen
Nicht jeder Betrieb kann seine fruchtbaren Felder für nachhaltigere Bepflanzung nutzen. Trotzdem finden sich immer wieder Beispiele, wie es anders sein könnte. Auf dem Belpberg etwa wächst dank grossem Einsatz der Familie Roger und Marina Staub Landmais – er wird nicht gehäckselt und an Tiere verfüttert, sondern unter viel Aufwand auf dem eigenen Hof gemahlen, gesiebt und gesäubert. Heraus kommen zum Beispiel grüner oder lila Polentamais oder Maismehl. Neben den Hauptzweigen Zuchtschweine und Saatkartoffeln widmen sich Staubs seit 2016 diesem Nischenprodukt – gerade der grüne Mais wächst schweizweit nur auf dem Belpberg, wie Marina Staub erzählt. «Für diese kleinen Mengen ist es ein grosser Aufwand. Es macht uns aber Freude, den Leuten zu zeigen, dass es noch viel mehr gibt als nur das, was man schon kennt.»
Bei Anna und Christian Böhlen-Gutknecht in Riggisberg ist einiges an pflanzlichen Nahrungsmitteln zu finden, das dem Menschen direkt Energie gibt. Linsen etwa, Dinkel, Leinsamen, bis vor kurzem auch Lupinen oder Hafer. «Ein Feld mit Hülsenfrüchten ernährt unzählige Leute, dieselbe Fläche Gras jedoch niemals so viele Tiere», sagt Anna Böhlen. Zwar haben auch sie Grasland und Futtergerste, um die eigenen Kühe und Schweine zu versorgen, setzen aber seit einigen Jahren vermehrt auf «Futter» für den Menschen. Es war schlicht der Weg, der dem Hof das Überleben sicherte. Böhlen wünscht sich, dass die Agrarpolitik den Anbau von essbaren Pflanzen fördert, die Lebensmittelindustrie kostendeckende Preise dafür bezahlt und die Konsumenten weniger Fleisch und mehr hiesige Ackerfrüchte kaufen.
Heute werden weltweit nur 55 Prozent der geernteten Pflanzenkalorien zu Nahrungsmitteln. 36 Prozent werden Nutztieren verfüttert, aus dem Rest gibt es Biotreibstoff. Käme die Pflanzenenergie direkt unserer Spezies zugute, könnten gemäss Berechnungen eines Forscherteams der Universität von Minnesota (USA) ganze 4 Mia. Menschen mehr ernährt werden. Zahlen, die zu denken geben. Und in der Schweiz? Würden wir nur noch halb so viel Fleisch essen wie bisher, müsste die hiesige Landwirtschaft kein Futter mehr importieren. Der Selbstversorgungsgrad stiege je nach Berechnung auf bis gegen 80 Prozent. Schlussendlich liegt die Entscheidung – buchstäblich – im Einkaufskorb von uns allen: Soll auf unseren Äckern mehr direkte Energie für den Menschen wachsen oder mehr solche, die – mit Verlust – den Umweg über’s Tier macht?
INFO:
www.muriboden.ch (Hoffest am 13. Mai)
Kurz vor Druck dieser Ausgabe lancierte Franziska Herren, bekannt von der Trinkwasser-Initiative, die «Vegi-Initiative». Dabei geht es nicht um den Zwang, weniger Fleisch zu essen, sondern um die Umlenkung der Subventionen, mit denen vermehrt pflanzliche Produkte gefördert werden sollen.