Innerhalb maximal 30 Minuten soll nach Notrufeingang eine Erstversorgung – meist eine Ambulanz – eintreffen, zumindest in 80 Prozent der Fälle. In Zukunft soll dies in 90 Prozent der Hilferufe gar innert einer Viertelstunde möglich sein. Acht Rettungsdienste stellen dies im Kanton Bern sicher. Doch was etwa in der Stadt Bern problemlos möglich ist, stellt sich in abgelegenen oder schlechter erschlossenen Gegenden, wie beispielsweise dem Belpberg, als Herausforderung dar.
Jede Minute zählt
Die Sanitätspolizei von Schutz und Rettung Bern sowie der Rettungsdienst der Insel Gruppe führten deshalb von Januar 2020 bis Januar 2021 einen Pilotversuch mit einem gemeinsamen Warteraum im Belper Feuerwehrmagazin durch. Ab Standort Belp wurden innert eines Jahres 783 Einsätze gefahren. Knapp 300 dieser Einsätze betrafen akut lebensbedrohliche Notfälle. Hier zählt jede Minute – dank dem Warteraum Belp konnten etliche Minuten an Anfahrtsweg eingespart werden, was zu einer deutlichen Verbesserung der Notfallversorgung führte.
Darum wurde entschieden, den Warteraum definitiv beizubehalten. Auch andernorts setzt man auf solche «kleine Stützpunkte», etwa beim Rettungsdienst des Spitals Emmental: So fährt dieser nicht nur ab den Spitälern Langnau und Burgdorf, sondern auch ab den Warteräumen Grünenmatt und Kirchberg.
Belp, Längenberg, Autobahn
Thomas Rohrbach, Kommandant der Sanitätspolizei Bern, zeigt sich zufrieden mit dem neuen Warteraum. Mit 38 Partnergemeinden ist die Sanitätspolizei Bern der grösste Rettungsdienst
im Kanton. Dank dem Standort Belp können nicht nur abgelegene Orte wie der Belpberg oder das Gemeindegebiet Wald besser erreicht werden, sondern auch die Autobahn. Von den jährlich rund 23’000 Einsätzen im Grossraum Bern fallen für die Sanitätspolizei etwa 1200 im Raum Belp an – Tendenz steigend.
«Wir klären ab, ob weitere Warteräume erforderlich sind, denn wir wollen auch nicht zu viele haben», so Rohrbach. Sämtliche 36 Fahrzeuge müssen schliesslich regelmässig zum Stützpunkt an der Murtenstrasse zurückkehren.
Dies gilt insbesondere für die Einsätze, welche im letzten Jahr immer häufiger vorkamen: jene für Covid-19-Verdachtsfälle. Im Anschluss an einen solchen Transport muss sich nicht nur die Besatzung neu einkleiden, auch das Auto muss innen 45 Minuten lang «vernebelt» und danach mit Desinfektionsmittel abgewischt werden. Rund zwei Stunden lang wird das Team so gebunden und von weiteren Einsätzen abgehalten.
«Retten ist warten»
Wartezeiten gelten aber nicht als verlorene Zeit. Im Gegenteil: «Retten ist warten», betont der Kommandant. Denn Notfälle verteilen sich nicht regelmässig über den Tag. «Manchmal sind fast alle Ambulanzen da, und eine halbe Stunde später ist die Halle leer», weiss er.
Wenn also an der Rubigenstrasse im Feuerwehrmagazin zwei leuchtgelbe Rettungsfahrzeuge bereitstehen, wissen die Einwohnerinnen und Einwohner des unteren Gürbetals: Bei einem medizinischen Notfall ist Hilfe schnell vor Ort.
First Responder: Private als erste vor Ort
Szenenwechsel ins Senseoberland: Am 25. November 2020 wurde dem Verein First Responder Plus der mit 4000 Franken dotierte Preis Sparkasse Sense der Clientis Sparkasse Sense und von seisler.swiss überreicht. First Responder sind freiwillige Privatpersonen, die sich in Nothilfe weitergebildet haben und per Smartphone-App zu einem medizinischen Notfall in ihrer Umgebung geschickt werden können. Sie sind meist vor professionellen Rettungssanitäterinnen oder Notärzten dort und leiten die ersten lebensrettenden Massnahmen ein.
Herzstillstand: entscheidende Minuten
Bis eine von einem Herzstillstand betroffene Person in einem Spital eintrifft, beträgt ihre Überlebensrate im Schnitt bloss noch 3 bis 5 Prozent. Kein Wunder, stirbt in der Schweiz alle 90 Minuten jemand aus diesem Grund. Wird nämlich kein Versuch zur Wiederbelebung unternommen, sinkt die Überlebenschance jede Minute um 10 Prozent. Man kann sich also ausrechnen, was es ausmacht, wenn eine geschulte Nachbarin innert weniger Minuten mit der Herzmassage beginnt und nicht auf eine Ambulanz gewartet werden muss.
In der ganzen Schweiz sind First Responder, also Ersthelferinnen und Ersthelfer, in regionalen Netzwerken organisiert. Ausbildung, Material, Geräte und Einsätze werden mit Spenden finanziert, die Arbeitsstunden unentgeltlich geleistet. Im Senseoberland stellen sich aktuell 15 Freiwillige und sieben Rettungssanitäter als First Responder Plus zur Verfügung. Rund einmal pro Woche leisten sie einen Einsatz.
Rettende Taxis
Etwas weiter übers Sensetal hinaus, in Bern, Murten, Freiburg und Bulle, wurde vor zwei Jahren ein weltweit einzigartiges Projekt initiiert: Christoph Wieland, Präsident von TaxiSuisse, liess hundert Taxichauffeure zu First Respondern ausbilden und dreissig Fahrzeuge mit Defibrillatoren ausrüsten. Diese Taxis werden in die Alarmierungskette der Notrufzentralen 144 integriert und im Fall eines Herzstillstandes gleichzeitig mit der Ambulanz aufgeboten. Projektleiter Wieland: «In den Städten sind die Blaulichtorganisationen meist schneller als wir. Somit macht unser Einsatz vor allem in der Peripherie Sinn, wo wir jedoch seltener sind. Trotzdem kam es schon zu einigen Einsätzen. Das Projekt wird darum weitergeführt.»
Abschliessend darf festgestellt werden: In unserer Region, die über viele abgelegene Haushalte verfügt und weitläufig ist, braucht es für eine gute notfallmedizinische Grundversorgung ein dichteres Netz von Ersthelfenden und neue Ideen. Manche Initiativen hierfür wurden bereits umgesetzt, weitere werden folgen.
INFO
First Responder Plus, Plaffeien: www.fr-plus.ch
First Responder Kanton Bern: www.firstresponder.be
Salome Guida